7117519-1996_21_07.jpg
Digital In Arbeit

Langzeitgedächtnis

Werbung
Werbung
Werbung

Vermutlich kennen Sie das Phänomen: Ereignisse, welche lange Zeit zurückliegen, haften im Gedächtnis; anderes, was zeitlich näherliegt, gerät aus dem Sinn. Bei-spiele dafür gibt es genügend, und sie erstrecken sich auf verschiedene Rereiche des (öffentlichen) Lebens. Das Problemfeld rückte stark ins Be-wußtsein, als es galt, sich mit dem .letzten Weltkrieg, seinen Ursachen und Hintergründen aus österreichischer Sicht auseinanderzusetzen. Demgegenüber fällt es keineswegs schwer, sich auf 1000 Jahre Ostarri-chi zu besinnen, hier besteht keine

Gefahr der Geschichtsvergessenheit.

Auch die Kirche ist eher bereit, über Ereignisse ferner Vergangenheit nachzudenken als Näherliegendes zu evaluieren. Die Rehabilitation eines Galileo Galilei fällt verhältnismäßig leicht; die Antimodernismus-krise dieses Jahrhunderts einer (offiziellen) Relecture zu unterziehen, ist da schon eine andere Sache, ganz zu schweigen von der Frage, wie man Ereignisse der jüngsten Zeit in der Kirche beurteilen könnte.

Kurzzeitgeschichte verlangt eine eigene Positionsbestimmung, die eingefordert werden könnte - ist sie deshalb so unbeliebt? Die Sorge, im Wechselkurs weltlicher oder kirchlicher Tagespolitik könnte sich das als nachteilig erweisen, übertrifft weitgehend die Bereitschaft, konsequent zurückzublicken, trotz des Wissens darum, daß Geschichte ein Teil meiner Biographie ist - als Mensch, als Gesellschaft, als Staat oder als Kirche. Geschichtsloses Denken und Handeln erschüttert die Wurzeln, und es nimmt die Standfestigkeit.

Vor wenigen Tagen war wieder 15. Mai. Die Medien wußten nichts dazu zu berichten, auch kirchlicherseits war nichts zu hören, auch Politikerinnen und Politiker blieben stumm. Es war ja auch kein rundes Jubiläum zu feiern, sondern lediglich der Tag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages vor 41 Jahren. Der hat Österreich die Freiheit wiedergebracht; aber davon spricht man heute nicht mehr so gerne, weil sich angeblich das politische Umfeld geändert habe.

Die neue Interessenlage bringt eine neue Geschichtsvergessenheit mit sich. Genaugenommen aber ist das ein unerfreuliches Beispiel für ein bloß auf Langzeit ausgerichtetes Gedächtnis.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung