Ukrainekrieg: Ist die christliche Friedensethik am Ende?
In der Vorwoche fragte DIE FURCHE in ihrem Fokus: „Ist Frieden eine Illusion?" Besonders auf die Probe gestellt wird aktuell die christlich-pazifistische Haltung zu dieser Frage. Ein Gastkommentar.
In der Vorwoche fragte DIE FURCHE in ihrem Fokus: „Ist Frieden eine Illusion?" Besonders auf die Probe gestellt wird aktuell die christlich-pazifistische Haltung zu dieser Frage. Ein Gastkommentar.
Die erhitzten Debatten über die allfälligen sicherheitspolitischen Konsequenzen des russischen Überfalls auf die Ukraine bringen bisher unverrückbar erscheinende Grundsätze zum Einsturz. Die Neutralität steht verstärkt auf dem Prüfstand, Schweden und Finnland drängen in die NATO, Militärbudgets werden erhöht, und allenthalben werden Forderungen nach einer Totalrevision der christlichen Friedensethik laut. Doch was besagt diese eigentlich?
Zunächst ist daran zu erinnern, dass sich die christliche Friedensethik sehr entschieden und ohne Einschränkung in Richtung Gewaltfreiheit, umfassende Gerechtigkeit (ökonomisch, politisch, sozial), präventive Friedensarbeit und grundlegende Ächtung des Krieges hin entwickelt hat. Auch wenn die verschiedenen kirchlichen Dokumente natürlich keine Antwort auf den brutalen Überfall des russischen Militärs auf die Ukraine geben, so bleiben die Grundzüge der christlichen Friedensethik dennoch uneingeschränkt gültig. Es ist nach wie vor richtig, dass Waffen vom Prinzip her keinen Frieden schaffen können und Gewalt nie ein Mittel der Konfliktlösung sein kann.
Kritische Widerständigkeit
Christliche Friedensethik ist sich der Vorläufigkeit der Wahrnehmungen wie der ethischen Urteile, die aus ihnen hervorgehen, in besonderem Maße bewusst. Sowohl unsere Wahrnehmungen als auch die ethischen Sollensziele bleiben ambivalent und können nicht vorschnell vereindeutigt werden. Dies zeigt sich an den verschiedenen Debatten, die rund um das richtige ethische Handeln in der Situation eines europäischen Krieges geführt werden: Der christlichen Friedensethik kommt hier eine Rolle kritischer Widerständigkeit zu – gegen die Versuchungen eines polarisierenden Denkens, das nur ein Entweder-oder kennt.
Um dies am Beispiel der aktuellen Debatte über Neutralität oder Beitritt zur NATO zu verdeutlichen: Christliche Friedensethik wird gut daran tun, dazu keine vereindeutigenden „Entscheidungshilfen“ zu liefern. Sie wird vielmehr versuchen, weiterführende Fragen zu stellen. Zum einen: Wäre es auf sachlicher Ebene nicht fatal, die Frage nach einer Neuorientierung der österreichischen Sicherheitspolitik auf die Entscheidung zwischen Beibehaltung der Neutralität und NATO-Beitritt zu reduzieren? Zum anderen: Ist Sicherheitspolitik nicht wesentlich mehr als Militär- oder gar nur Aufrüstungspolitik – nämlich Gewährleistung menschlicher Sicherheit auf allen Ebenen wie denen von Existenzsicherung oder Menschenrechten?
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