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Eine „goldene Zeit“?

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Zwischen Mythos und echtem Interesse ist nach den Worten des Triester Historikers Angelo Ära heute die Sichtweiscder Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Italien - vornehmlich in den früher zur Donaumonarchie gehörenden italienischen Gebieten — angesiedelt.

Ära, zur Zeit Gastprofessor an der Universität Wien, wo er italienische Geschichte lehrt und im Sommersemester die Beziehungen zwischen Österreich und Italien in der Zwischenkriegszeit durchleuchten wird, ist mit seiner Familie nach Wien gekommen, wo seine Kinder in Schule beziehungsweise Kindergarten gemeinsam mit Kindern aus Jugoslawien, selbstverständlich auch aus Österreich, deutsch sprechen, lesen und schreiben lernen.

Ära beschreibt den herrschenden Mythos von Österreich-Ungarn in Italien als Indiz für gegenwärtige Unzufriedenheit mancher Regionen mit Rom. „Rom ist für diese peripheren Gebiete geistig und geographisch weit entfernt, deswegen fühlt man sich in Triest oder in Friaul vernachlässigt und sucht Tröstung in der Vergangenheit.“

Der Rückgriff auf eine scheinbar „goldene Zeit“ sei also zunächst eine Reaktion auf die heutige Lage. Gleichzeitig ortet Angelo Ära aber einen „gefährlichen Weg“, den eine Region mit Beanspruchung des an sich positiven

Autonomiebegriffs nehmen kann. Autonomie als Selbstverteidigung gegen die, die nicht zu einem bestimmten historischen Raum gehören — als Beispiel nennt Ära hier den „künstlichen lombardischen Regionalismus“ —, ist für den Triester Historiker nur Einigelung gegenüber der offeneren Lage der Gesamtgesellschaft. Das gelte natürlich auch für das Trentino.

Das positive Interesse Italiens einer Geschichte multinationaler Erfahrung gegenüber wurzelt - so

Ära — in einem nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Prozeß. Mit dem „Ende des italienischen Nationalismus und dem Ende einer faschistischen Auffassung“ habe man versucht, die in der Monarchie gemachten übernationalen Erfahrungen zu vertiefen — und zwar überall in Italien.

Mit einem Nationalitätenstaat könne man die Erfahrung machen, „daß die anderen auch Legitimität besitzen“, sagt Ära. Damit ist auch der Europa-Gedanke in Italien gewachsen.

Für Ära ist die Donaumonarchie der gescheiterte Versuch eines Vielvölkerstaates, weil dieser Staat nicht in der Gegenwart, sondern in Vergangenheit und Zukunft angesiedelt war. „Heute - 70 Jahre danach — befinden wir uns in der Zukunft und können diesen Staat anders bewerten. Damals ist Österreich nicht in der Lage gewesen, die Nationalismen zu überwinden und hätte dies auch ohne Krieg nicht zuwege gebracht“, gibt sich Ära überzeugt.

Nur in der Zukunftsperspektive habe diese Österreich-Idee eine Chance. Von da her bewertet Ära die „Mitteleuropäische Auferstehung“ in Italien - besonders in jenen Gebieten mit alten Bindungen an Österreich - als „nationales Phänomen“. Die Regionalisie-rung Italiens bedeutet Umsetzung der Erfahrung, daß nationale Werte nicht die einzigen Werte sind.

Nationalismus ist — wie Ära betont - im heutigen Europa dort besonders stark, wo Menschen das Gefühl haben, mit ihrer Sprache und Kultur nicht respektiert zu werden. „Das ist auch der Beweis dafür, daß der Nationalismus keine künstliche, sondern eine echte politische Frage ist“, schreibt Ära jenen ins Stammbuch, die auch heute noch die zunächst gerechten nationalistischen Anliegen eines Volkes geringschätzen und vorschnell von Uberregionalismus sprechen.

„Zuerst muß ich verlangen, ich selbst sein zu dürfen, dann ist die Lage reif für übergeordnete, übernationale Einigungen.“

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