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Einigkeit im Zweifeln

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Mitteleuropa auf dem Prüfstand: ob der dritte Weg für Europa mehr ist als eine besondere geschichtlichkulturelle Sensibilität einiger Länder füreinander, darf bezweifelt werden.

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Mitteleuropa auf dem Prüfstand: ob der dritte Weg für Europa mehr ist als eine besondere geschichtlichkulturelle Sensibilität einiger Länder füreinander, darf bezweifelt werden.

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Kein Zweifel: im Zweifeln sind sie einig, die Länder Mitteleuropas. Vor allem quälen sie sich selbst über ihre Rolle und Aufgabe im Herzen des Kontinents. Sie werden auch gequält, weil man sie nicht zu sich selbst kommen läßt -im großen Koordinatensystem der Weltmächte.

Zweifellos, die Vision eines Mitteleuropa, das über sich hinauswächst und den Kontinent größer macht, ist berückend. Zumal dabei noch grenz- und systemüberwindende Ideen Pate gestanden haben, als Ergebnis des Leidens an der Zerrissenheit.

Doch nüchtern betrachtet besteht dieses Mitteleuropa momentan aus kaum mehr als einer Ansammlung von Bekenntnissen ohne jede realpolitische Basis. Die wenigen theoretischen Ansätze, die zu einer dementsprechend orientierten Außenpolitik führen könnten, erweisen sich als Fata MOrgana; herrührend vom langen Warten an den Grenzbalken Mitteleuropas.

Auch Österreichs Vizekanzler und Außenminister Alois Mock wird von dieser Ernüchterung nicht verschont bleiben, wenn er seine Ansichten über Osterreich als „Kristallisationspunkt“ Mitteleuropas — also hinausgehend über eine bloße Brückenfunktion des Kleinstaates - mit den im Ton zwar wohlwollenden, in der Sache aber ungemein realistischen Ausführungen des ungarischen Kulturministers Bela Köpeczi vergleicht. Mock hatte in der Zeitschrift „Pannonia“ (Nr. 2/1987) zum ersten Mal als Außenminister über Mitteleuropa gesprochen. Ohne Mock zu erwähnen, zieht Köpeczi in der neuesten Ausgabe dieses Magazins für europäische Zusammenarbeit (Nr. 4/1987) klare Grenzen.

Die beiden Minister treffen sich in der Suche nach dem größeren Europa. Sie sind sich einig— teils aus wirtschaftlichen, teils aus kulturellen Gründen -, daß jedes Land—Ungarn wie Österreich — seinen Standort in Europa suchen und bestimmen muß. In der Bewertung der Möglichkeiten eines starken Mitteleuropa differieren die beiden Politiker.

Mock verweist auf den Begriff Mitteleuropa als „Chiffre für die politische Uberwindung des Ost-West-Gegensatzes“, als „Sammelbegriff für pragmatische Nachbarschaftspolitik über die Blockgrenzen hinweg“, als „Aufforderung an ö sterreich zu liberaler Offenheit, der Gegensteuerung gegen Ansätze zu Binnenmentalität und als Gegenbild gegen alle Formen des Provinzialismus“.

Köpeczi — er verwendet in diesem Zusammenhang stets den Begriff „Mittel-Ost-Europa“ - stellt nüchtern die Frage, ob Österreich überhaupt zu diesem Mittel-Ost-Europa gehöre. „Hinsichtlich seiner Vergangenheit“ — so der ungarische Kulturminister wörtlich — „ist dies unbedingt der Fall. Bezüglich seiner Gegenwart nicht mehr.“ Österreich habe ein anderes Gesellschaftssystem als jene Länder Mittel-Ost-Europas, die im Sozialismus als ökonomisch-politisches System die Möglichkeit der Uberwindung der einstigen mittel-ost-europäi-schen wirtschaftlichen Misere sowie die Lösung der nationalen Frage sahen.

Der ungarische Kulturminister verweist auf den Sozialismus als große Hoffnung der Menschen dieser Region und stellt diesem ein infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten in breiten Kreisen Mittel-Ost-Europas aufgekommenes „Bewußtsein der Glücklo-sigkeit“ gegenüber. Bela Köpeczi erkennt klar die Notwendigkeit eines nationalen Identitätsbewußtseins, steht aber ohne Antwort vor dem Phänomen der Grenzen überschreitenden Konsumkultur sowie der ,Ungleichung“ durch freiere internationale Kontakte. Ein damit entstehender ideologischer und künstlerischer Pluralismus könne als Hinweis auf die kulturelle Einheit Europas gesehen werden.

Österreich — so Köpeczi — habe sich, „bedingt durch seine Vergangenheit, seine Sensibilität in bezug auf die östlichen und nördlichen Nachbarn wahren“ können; nach Ansicht des Kulturministers möglicherweise ein Vorteil „bei der Gestaltung seines kulturellen Lebens und beim Bekanntmachen fremder Kulturen. Fragt sich nur, inwieweit Österreich diesen seinen Vorteil wahrnimmt.“

Nun, was Außenminister Mock betrifft, stehen die Zeichen—nach Jahren der Nahost-, Fernost- und Mittelamerikapolitik — auf Nachbarschaftspolitik. Durch Osterreich als Kristallisationspunkt der Region soll „Neues, Gemeinsames“ entstehen. Mehr als ein Lippenbekenntnis? Eine Realutopie als Vorgabe unserer Außenpolitik?

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