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Ethik im Journalismus

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Österreichs Journalisten sind nicht besser als anderswo, bisweilen sind sie schlechter. Viele recherchieren schlampig, machen in der Darstellung Unwichtiges zu Wichtigem und umgekehrt, verkehren den Inhalt einer Aussage durch völlig einseitige Titel und „schreiben" Agenturmeldungen „um", indem sie Vermutungen zu Fakten hochputschen. Im Angriff sind österreichische Zeitungskritiker meist gröber als ausländische, Formulierungskunst wird nicht selten zu geistiger Masturbation.

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Österreichs Journalisten sind nicht besser als anderswo, bisweilen sind sie schlechter. Viele recherchieren schlampig, machen in der Darstellung Unwichtiges zu Wichtigem und umgekehrt, verkehren den Inhalt einer Aussage durch völlig einseitige Titel und „schreiben" Agenturmeldungen „um", indem sie Vermutungen zu Fakten hochputschen. Im Angriff sind österreichische Zeitungskritiker meist gröber als ausländische, Formulierungskunst wird nicht selten zu geistiger Masturbation.

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Mit einem Wort: Wenn uns jemand zur Selbstkritik auffordert und an die „Notwendigkeit ethischer Reflexion" gemahnt, verdient er Aufmerksamkeit.

Bisher hat das, nicht ohne erfreuliche Anfangserfolge, ziemlich allein die von dem erfahrenen journalistischen Praktiker Felix Gamillscheg geleitete Katholische Medienakademie getan. In jüngster Ziet kommen Signale auch von Vertretern der Kommunikationswissenschaft.

In diesem Sinn ist das neue Buch „Journalismus und Orientierungsverlust" des Wiener Publizistik-Wissenschafters Maximilian Gottschlich sehr zu begrüßen. Es fordert als „Professio-nalisierungsideal" einen „publikumsverpflichteten Journalismus", eine Bereitschaft zur „Dienstleistung für jedermann" an Stelle journalistischer Selbstbefriedigung.

Das alles hängt natürlich mit dem journalistischen Selbstverständnis zusammen. Wie sieht ein Journalist sich selbst: als neutraler Beobachter? Chronist? Vermittler, Interpret? Oder Erzieher, Kritiker, Anwalt, Kontrollor?

Darüber gibt es Untersuchungen der Publizistikwissenschaft, die alle unter einem gemeinsamen Fehler leiden: Sie fragen nach dem Selbstverständnis „des" Journalisten schlechthin, haben es in Wirklichkeit aber mit Trägern sehr unterschiedlicher journalistischer Aufgaben zu tun. Natürlich werden Leitartikler, Kommentatoren, Glossi-sten und Kolumnisten anders antworten als Reporter, Rechercheure, Lokalressortleiter.

Kommunikationswissenschaftlich Vorgebildete werden schlau genug sein, mit „Vermittler" zu antworten, denn tatsächlich deckt dieser Begriff am seriösesten und auch am umfassendsten die verschiedenen anderen Kategorien ab. Wie Gottschlich richtig anmerkt, legitimiert etwa „Kritik" allein noch nicht den Journalisten, denn daraufhat jeder Staatsbürger ein Recht.

Die spezifische Aufgabe des Journalisten liegt in der Artikulationshilfe für den bedrängten Bürger. Dessen Kritik (nicht in erster Linie der des Jorunali-sten) ist Geltung zu verschaffen, er ist durch Herstellung von Öffentlichkeit vor Benachteiligung durch die Kritisierten zu schützen.

Unbestritten ist, daß mit der immer größer werdenden Fülle des Informationsangebotes das Problem der Auswahl und der Weitergabe des Ausgewählten immer größer wird. „Nicht am Publikum vorbeizuproduzieren" ist eine Berufsnorm, deren Erfüllung für Journalisten immer schwierig war und jetzt noch schwieriger wird.

Unbestritten sollte wohl auch sein, daß die Meldungsauswahl (nicht nur im Fernsehen, dort aber vor allem) keineswegs immer Wirklichkeit repräsentativ widerspiegelt, sondern auch nach sehr formalen Gesichtspunkten erfolgt (wenn ganz gewiß nicht in so komplizierter Form, wie Wissenschafter sich das vorstellen): Was ist „zeigbar", was „gibt am meisten (optisch, dramatisch) her", was ist am ehesten illustrierbar? ...

Daher fordert Gottschlich mit Recht, daß es für den Journalisten nicht genügt, wie Rühl meint, „Themen für die öffentliche Diskussion bereitzustellen," sondern daß es auch darauf ankommt, dem Leser, Radiohörer und Fernseher verständlich zu machen, was diese und jene Meldung für ihn, für seine Zukunft bedeutet. Und: welche Möglichkeiten ihm dieses und jenes Faktum verschafft, selbst in Entscheidungen einzugreifen.

„Relevanzzuweisung durch den Journalisten", sagen die Theoretiker dazu. Gottschlich meint, daß der Journalist eben „nicht nur reproduzieren (sollte), was der Politiker gesagt hat, sondern Hinweise zu geben (hätte), was er damit bezweckt haben könnte..." (S. 187)

Auf welches Glatteis man damit ge-

rät, braucht wohl nicht erläutert zu werden: Dann wird es viel Geschrei der Theoretiker geben, der Journalist überschreite dabei seine Vermittlerbefugnis!

Aber sicher ist dem Autor beizupflichten, daß der Journalist nicht einfach ihm gelieferte Themen reproduzier ren, sondern auch „Interessen für Themen wecken" müßte (S. 196). Und daß „die zentrale journalistische Leistung" darin zu liegen hätte, „die Bedingungen zur Teilhabe an Welt mittels bereitgestellter Themen zu schaffen" (S. 38), also dem Leser, Hörer, Seher soviel „Betroffenheit" zu vermitteln, daß „Mit-wissen zu Mit-wirken führt" (S 168).

Daß dieses Ziel selten erreicht wird, kann dabei oft auch schon an der von Journalisten verwendeten Sprache liegen. Umfragen nach Nachrichtensendungen sollten uns längst zur Genüge bewiesen haben, wie unverständlich und fachchinesisch wir bisweilen formulieren, so daß am Nichtverstehen nicht der Rezipient, sondern der Journalist schuld ist.

Nach diesem Einbekenntnis, das ehrlich gemeint und nicht nur als Alibi für das folgende gedacht ist, muß allerdings auch der Haupteinwand gegen das vorliegende Buch (und viele seinesgleichen) vorgebracht werden: Die zu Recht beklagten „Ressentiments der Praxis gegenüber ihrer (der Kommunikationswissenschaft) Problemlösungs-

Kapazität" (S. 66) wird so lange andauern, als Orientierungshilfen der Wissenschaft die journalistische Praxis in einer nahezu unerträglich gestelzten, zitat- und fachausdruckgeschwängerten Verdunkelungssprache erreichen.

Wirklich klar und deutlich ist Gottschlich dort, wo er Gottschlich ist. Da man aber wissenschaftlich hierzulande nur weiterkommt, wenn man pausenlos zitiert und selber Eingeweihtensprache verwendet, sind drei Viertel des Buches

für jene, die es lesen sollten, die Praktiker nämlich, eine Qual.

Dabei zeigen Sozial- und selbst Naturwissenschafter des englischen Sprachraums (nicht zuletzt die in diesem Buch zitierten), daß man ohne unwissenschaftlich zu werden, auch kurze, verständliche Sätze schreiben kann, die jeder Gebildete versteht.

JORNALISMUS UND ORIENTIERUNGSVERLUST: Von Maximilian Gottschlich. Bühlau-Verlag, 219 S., öS 248,-

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