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Fallstudien

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Jeder der heutigen Österreicher steht im Schatten des Jahres 1945. Die einen haben dieses Jahr als Erwachsene oder auch als Kinder erlebt. Aber auch die Menschen, die nach 1945 geboren wurden, stehen im Schatten dieses Jahres.

Im Schatten von 1945 steht auch das neue Buch des Universitätsprofessors Dr. Ludwig Jedlicka, dem Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte, das den Titel trägt „Vom alten zum neuein Österreich“.

Das Buch Jedlickas greift allerdings weit über das Jahr 1945 hinaus. Denn das Jahr 1945 wäre nicht gewesen, wäre vorher nicht das Jahr 1938 gewesen. Und dieses Jahr 1938 wäre nicht gewesen, wenn nicht 1918 und wenn nicht 1914 gewesen wären. Und der Erste Weltkrieg wäre unterblieben, wenn nicht das Jahr 1866 mit seiner Tragödie, genannt Schlacht bei Königgrätz, zuvor gewesen wäre. Daß dieses Jahr vielleicht gar nicht hätte sein müssen, erläutert das erste Kapitel, das sich mit einem der größten Männer Österreichs befaßt, mit Radetzky.

Prof. Jedlicka, geboren 1916 als Sohn eines kaiserlichen Offiziers, der dm Ersten Weltkrieg fiel, selbst aber Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg, Schüler Srbiks, befreundet mit General Glaise von Horstenau, ist wahrhaftig ein Kenner der Zeitgeschichte und befähigt, Österreichs Schicksale zwischen 1900 und 1975 aufzuhellen. Sein Buch geht neue Wege der Darstellung. Jedem Kapitel ist eine kurze Zeitskizze vorangestellt, der dann die eigentliche Fallstudie folgt, mitsamt den dazu notwendigen wissenschaftlichen Anmerkungen.

Jedlickas Darstellungsart ist ein Beweis dafür, daß Geschichte niemals „trocken“ geschrieben werden muß, sondern trotz aller Wissenschaftlichkeit auch die Form von geistvollen Essays annehmen kann, die sich mit Vergnügen lesen. Als besonders interessant sei der Nachweis hervorgehoben, wie offen anti-österreichisch Kaiser Wilhelm II. gegen Ende des Ersten Weltkriegs dachte. Hervorgehoben sei auch die Schilderung der vielfachen Bemühungen Kaiser Karls, den allgemeinen Frieden so rasch wie möglich herbeizuführen, wobei auch in dieser Darstellung (wie bereits als Ergebnis so vieler anderer Forschungen über diesen Herrscher) dessen bedeutendes politisches Talent, sein oft verblüffender politischer Instinkt, zum Vorschein kommen. Es ist Österreichs Tragik, daß die anfangs enge Zusammenarbeit zwischen diesem Herrscher und der Sozialdemokratie gegen den Willen des Kaisers zunichte wurde.

Wie das weiter unten genannte Werk, gehört auch das Buch Jedlickas in die Hände vieler Österreicher, besonders jugendlicher, damit sie erfahren, wie es „wirklich gewesen“ ist und auf welchen Fundamenten sie ihre Zukunft bauen.

Der Verlag Styria hat in dankenswerter Weise einen Bildband von Manfried Rauchensteiner, einem Beamten des Heeresgeschdohtlichen Museums in Wien, mit Unterstützung dieser Institution, herausgegeben, ein Buch, das dazu angetan ist, das wichtige Jahr 1945 nicht vergessen zu lassen. Das Buch gliedert sich in einen einleitenden Textteil, der die letzten Monate des Krieges und die ersten Schritte des neuen Österreich beschreibt.

Mit Dankbarkeit wird die Erinnerung an jene Männer wach, die wider alle Fakten hofften, nur von dem Glauben beseelt, daß Österreich wiedererstehen müsse und leben könne, und die darangingen, dieses neue Österreich aufzubauen. Eine Zeittafel und Literaturhinweise ergänzen das Buch und machen es zu einem wichtigen Nachschlagewerk.

VOM ALTEN ZUM NEUEN ÖSTERREICH. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900 bis 1975. Von Ludwig Jedlicka. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten, 496 Seiten, 24 Abbildungen, S 320,—.

1945 — ENTSCHEIDUNG FÜR ÖSTERREICH. Eine Bilddokumentation. Von Manfried Rauchensteiner. Verlag Styria, Graz. 271 Seiten, 226 Photos, 7 Karten, S 480.—.

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