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„Ungehobene Schätze“

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Die Gründung einer Kommission zur Erforschung der österreichischen Geschichte in den Jahren 1927 bis 1938 sowie die internationale Historikertagung in Wien, die dem gleichen Thema gewidmet war, gaben der österreichischen Zeitgeschichtsforschung kräftige neue Impulse.

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Die Gründung einer Kommission zur Erforschung der österreichischen Geschichte in den Jahren 1927 bis 1938 sowie die internationale Historikertagung in Wien, die dem gleichen Thema gewidmet war, gaben der österreichischen Zeitgeschichtsforschung kräftige neue Impulse.

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FURCHE: Herr Professor, kann man die Ergebnisse dieser Tagung unter einen Generalnenner bringen oder kann man nur von Einzelergebnissen sprechen? Kann man überhaupt von Ergebnissen sprechen, oder mehr von einer Hoffnung auf Ergebnisse, Anreizen zu neuen Forschungen?

JEDLICKA: Der Generalnenner war zweifellos der, daß gewisse Arbeitsvorhaben beschlossen wurden, die wir Historiker in Österreich längst anvisierten. Dazu gehört die Erforschung der österreichischen außenpolitischen Situation in den Jahren 1927 bis 1938, vornehmlich in den ausländischen Archiven. Ohne italienische, ohne französische, ohne ungarische, das betone ich ganz besonders, Quellenforschung — natürlich wären die tschechoslowakischen und jugoslawischen Aktenbestände ideal — kann man eine genaues Bild der Zeit nicht zeichnen. Erfreulicherweise hat unser ungarischer Kollege Kere-kes ein Angebot gemacht, die betreffenden ungarischen Akten eventuell zu einer gemeinsamen Publikation zur Verfügung zu stellen.

FURCHE: Welche speziellen Aufschlüsse erwartet man sich von den ungarischen Beständen, die Sie besonders hervorheben?

JEDLICKA: Das Wirken der ungarischen Politik zusammen mit der italienischen auf österreichischem Boden, wenn Sie bedenken, daß das Dreieck Rom-Wien-Budapest ja nicht erst mit Dollfuß, sondern eigentlich bereits mit Schober 1930 wirksam wird. Das Zweite ist, daß wir noch viel tiefer die biographischen Unterlagen der Zeit erarbeiten müssen, dazu ist eine umfangreiche Befragungsaktion bereits im Gang und geplant, so daß wir noch die Augenzeugen herausholen, und drittens ist ausführlich darauf hingewiesen worden, daß wir uns noch mehr um die ökonomischen Verhältnisse zu kümmern haben. Es gibt noch keine Wirtschaftsgeschichte Österreichs in der neuesten Zeit, die ausreicht, die uns die Wechselwirkung zwischen Arbeitslosigkeit und Politik, die Exportströme, das Einwirken der sohwerindustriellen Interessen der großen Mächte auf Österreich und so weiter aufzeigt.

FURCHE: Sie haben von den biographischen Problemen gesprochen — gibt es hier noch ungehobene Schätze?

JEDLICKA: Ungehobene Schätze gibt es genügend, etwa wenn Sie daran denken, daß wir» noch lange nicht eine umfangreiche, endgültige Seipel-Biographie besitzen. Und es gibt auch noch keine Biographien etwa der führenden Diplomaten der damaligen Zeit, meine Durchforstung der diplomatischen Akten in der Zeit von 1920 bis 1938 hat ergeben, daß unsere Gesandten etwa in Rom und in Bern eine ganz bedeutende Kapazität aufgewiesen haben. Das alles muß man noch machen, obwohl schon sehr viele Vorarbeiten durch Dissertationen, Habilitationen usw. geleistet wurden.

FURCHE: Wie wird das Befragungsmaterial aufbereitet?

JEDLICKA: Man muß jede Befragung zunächst niederschreiben, dann vom Befrager paraphieren lassen, dann kann man sie als historisches Rohmaterial dem Forscher überantworten und wir wollen diese Befragungen der Kommission zur Verfügung stellen, den einzelnen Mitgliedern der Kommission; wir haben weit mehr als 70 Befragungen bereits durchgeführt. Den Mann von der Straße, den Mann aus der Doppelreihe, bis hinauf zum ehemaligen Bundeskanzler.

FURCHE: Bringt eigentlich die Befragung des Mannes aus der Doppelreihe ein neues Licht auf die Dinge ...

JEDLICKA: ... neues Licht nicht, aber der Mann aus der Doppelreihe, und der Mann aus der Kompanie des Schutzbundes, sie bringen die Atmosphäre der Zeit, und das ist natürlich unendlich wichtig zum Verständnis.

FURCHE: Wo . liegen die Schwerpunkte künftiger zeitgeschichtlicher Forschung?

JEDLICKA: Eher bei so turbulenten Jahren wie 1931 und 1932, die wirtschaftlichen Ereignisse, die zunehmende Unsicherheit durch die Isolierung Österreichs, durch das Einschwenken auf den italienischen Kurs, die Bankenzusammenbrüche — das ist viel weniger erforscht als etwa die Vorgeschichte des 12. Februar 1934 oder gar der 25. Juli 1934, wo wir fast schon am Ende der Forschung sind. Zum Februar 1934 kommt vielleicht einzelnes noch, aber nicht mehr allzu wesentliches, vielleicht aus dem außerösterreichischen Bereich, da ist sicher noch etwas zu erwarten.

FURCHE: Österreichs zeitgeschichtliche Forschung hat eine Fülle neuer Impulse erhalten, zahlreiche neue ausländische Quellen wurden erschlossen, gab es vorher eine Art Stagnation?

JEDLICKA: Nein, das hängt damit zusammen, daß unsere Mittel lange nicht ausreichen, um all diese Auslandsforschungen durchzuführen. Das hängt damit zusammen, daß wir in Österreich zu geringe Stipendien haben für Forscher etwa auf der Ebene eines Doktoranden und eines Habilitanden, und das wird jetzt durch die Kommission, durch den neuen Impuls, vielleicht durchgesetzt werden und wird auch von den verschiedensten Stellen unterstützt werden.

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