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Weinzierl oder Mommsen?

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Ludwig Jedlicka, Österreichs erster Ordinarius für Zeitgeschichte, ist am 28. April des Vorjahres gestorben. Daß fast genau neun Monate nach seinem Tod der Vorschlag der Universität für die Nachfolge bereits vorliegt, ist angesichts der Umstände anerkennenswert rasch. Daß dieser Vorschlag vier Namen enthält, obwohl das Gesetz nur drei vorschreibt, und daß jeder der vier Kandidaten des Vorschlags beste Qualifikationen aufweist, ist besonders erfreulich, zeigt es doch, mit welcher Intensität an Österreichs Universitäten an der wissenschaftlichen Bewältigung unserer unmittelbaren Vergangenheit gearbeitet wird. Wenn zwei der vier Kandidaten aus der unmittelbaren Schule Jedlicka kommen, wirft dieser Umstand auf den Verstorbenen ein zusätzliches Glanzlicht.

Die Berufungskommission hat ihres Amtes gewaltet. Die Entscheidung liegt bei Ministerin Firnberg. Sie hat in einem Gespräch mit der „Presse“ sehr deutlich erkennen lassen, daß sie mit dem Vorschlag nicht einverstanden isfc Vor allem störte sie, daß der einzige ausländische Kandidat, der deutsche Historiker Hans Mommsen, erst mit einem zweiten Bewerber ex aequo an dritter Stelle rangiert, der Ordinarius nach zwei Assistenten. So aber hat es die Mehrheit der aus zwölf Professoren, sechs Assistenten und sechs Studenten zusammengesetzte Kommission beschlossen. Die überstimmte Minderheit - vorwiegend Professoren - gaben ihre abweichende Meinung in einem Sondervotum zu Protokoll: Nach ihrer Meinung hätte Mommsen den zweiten Platz verdient. Nicht den ersten. Denn für den ersten - darüber waren sich Mehrheit und Minderheit einig - wollte man Erika Weinzierl, Ordinaria aus Salzburg. Spezialistin für Österreichs jüngste Geschichte, vor allem was die Beziehungen zwischen Kirche und Staat anbetrifft, im katholischen Lager verankert, doch durchaus bereit, gegen jeden Konformismus aufzumuk-ken.

Damit sollte eigentlich die Frage bereits erledigt sein, wer Jedlickas Nachfolge antreten solle. Ob nun Mommsen auf dem zweiten oder auf dem vierten Platz rangiert. Was soll also die Befürchtung, seine „schlechte“ Plazierung würde dem Ansehen der österreichischen Universität im Ausland schaden? Mommsen muß aus der deutschen Szene andere Vorgänge gewöhnt sein, was die Auswirkungen der Mitbestimmung betrifft. Was anderes als die Mitbestimmung aber soll an solchen Entscheidungen

„schuld“ sein? Man hat doch die Mitsprache der nicht oder noch nicht voll qualifizierten Mitarbeiter durchgesetzt, um auch andere als rein „professorale“ Überlegungen zum Zug kommen zu lassen. Und daß Assistenten lieber ihren Kollegen favorisieren - noch dazu, wenn er - wie Anton Staudinger oder Wolf-Dieter Biehl - bestens qualifiziert ist - als einen Ausländer, das war doch zu erwarten.

Damit aber kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel: Österreichs Universitäten haben sich seit ihrem Anbeginn ihre großen Lehrer zu einem guten Teil aus dem Ausland geholt. Gerade die zielstrebige Politik des Ministeriums in den letzten Jahren, rückwanderungswillige Österreicher zurück-oder „einwänderungswillige“ Ausländer hereinzuholen, sei hier voll anerkannt. Sie hat zu einer erfreulichen Blutauffrischung der österreichischen Wissenschaft geführt.

Das gilt für fast alle Bereiche der Wissenschaft - die österreichische Zeitgeschichte aber sollte doch wohl die Ausnahme sein, die die Regel bestätigt. Nichts gegen die wissenschaftlichen Qualifikationen Hans Momm-sens. Nichts gegen die hervorragenden Forschungen deutscher Historiker auch über österreichische Abschnitte der gemeinsam erlebten Geschichte. Aber in Österreich über Österreich in jener Zeit zu forschen -und vor allem zu lehren - sollte doch einem Österreicher, in diesem Fall einer Österreicherin, vorbehalten bleiben.

Sicher - Zeitgeschichte kann und darf sich nicht auf Österreich allein beschränken. Aber die Klärung der eigenen Geschichte hat bisher den Schwerpunkt der Arbeit am einst von Minister Drimmel gegen die Widerstände der Universität errichteten Institut gebildet. Sie wird auch noch lange die besondere Notwendigkeit bilden, will man die verkrampfte Haltung weitester Bevölkerungskreise allmählich lösen.

Deswegen bietet sich ein Vorschlag an, der geeignet scheint, allen Wünschen (oder doch wenigstens mehreren) gerecht zu werden: Erika Weinzierl für die Nachfolge Ludwig Jedlickas als Betreuerin der Österreich-Komponente, Hans Mommsen zusätzlich für die gesamteuropäischen, weltweiten Zusammenhänge. Ein zweiter „Dienstposten für einen ordentlichen Universitätsprofessor“ -Lehrkanzeln gibt es ja nicht mehr -wird doch aus der jeweils offenen Gesamtmenge vakanter Dienstposten solange umzuwidmen sein, bis eine ordnungsgemäße Widmung möglich ist.

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