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Freude - Zeichen der Gegenwart Gottes

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Vor einigen Wochen habe ich das zum ersten Mal erlebt: Ein junger Mann kommt ans Mikrophon und erzählt spontan vor etwa 1000 Menschen über seine beglückenden Erfahrungen mit Gott, sein vorher tragisches Leben und seine Probleme. (Das spielte sich im Rahmen einer christlichen Tagung ab.) Vielen war solche Offenheit völlig neu.

Glaube und Religiosität waren auch bei mir bis dahin Dinge, die nur, in Formeln und bestimmten Wendungen verpackt, ausgesprochen wurden, wenn auch durchaus ehrlich gemeint.

Dieses Zeugnis hat mich tief betroffen. Es hat in gewisser Hinsicht eine Hemmschwelle durchbrochen, hinter der man normalerweise das Thema Glaube versteckt hält.

Viele scheuen sich davor, ihre persönliche Beziehung zu Gott in diesem Sinn preiszugeben, und sie diskutieren theoretisch über Gott oder schweigen eben. So entsteht die geistliche Beziehungslosigkeit.

Nicht umsonst meint Martin Buber: Im Anfang war die Beziehung! Sie ist das elementarste Bedürfnis des Menschen. Kritiker sprechen schnell von „Seelenstriptease“ und Indiskretion. Sie übersehen, daß man in beide Richtungen übertreiben kann.

Wenn heute manche meinen, sie könnten nicht beten, wurzelt diese Sprachlosigkeit vor Gott in der Sprachlosigkeit voreinander. Es ist ja nicht schwer, in einer Bibelrunde über Gott sachliche Überlegungen anzustellen, solange man sich in der Anonymität verschanzen kann.

Aber es bricht im Menschen eine neue Dimension auf, wenn jemand persönliches Glaubenszeugnis gibt, von den eigenen Gebetserfahrungen berichtet. Voreinander und miteinander frei beten kann ein fast unüberwindbares Problem sein.

Als Theologiestudentin kenne ich die Hemmungen, die man haben kann, wenn man glaubt, theologisch „astrein“ beten zu müssen. Man steht irgendwie fassungslos vor der Tatsache der „Wirk“-lichkeit Gottes in konkreten Dingen, die existenziell erfahrbar, nicht nur reflektierbar ist. Dann ändert sich die Einstellung zu freien Formulierungen, die zunächst vielleicht unrichtig oder peinlich gewirkt haben.

Um Jesus kennenzulernen, ist die menschliche Erfahrung wichtiger als alle Christologien. Aber aus unerfindlichen

Gründen reagieren viele ablehnend: Das ist nur sentimental, sagt man und reduziert Religion auf den Verstandes- und Vernunftbereich, der sich mit bloßen Gedanken begnügt.

Es gibt so etwas wie eine mitteleuropäische Aversion gegen jede Art von Sentiment. Gefühle werden aus wichtigen Lebensbereichen verdrängt, weil man sich über sie erhaben dünkt. Mit dieser Haltung wird der Gottesdienst ein mechanischer Ablauf frommer Worte, religiöse Pflichtübung.

Herzliche Freude hat da kaum Platz. Aber eben diese Freude wäre Zeichen der Gegenwart Gottes, Frucht seines Geistes. Freude ist tiefstes Leben, und Leben in Fülle hat uns Gott verheißen, nicht Ordnung und Struktur (was einander ja keineswegs widerspricht).

Ich glaube, jeder Christ muß Missionar werden. Gott will sich in jedem Leben offenbaren. Erfahrungsaustausch ist Glaubensbekenntnis, ist Dienst am Aufbau der Gemeinde. Hätten die Jünger ihre Erlebnisse nicht weitergegeben, gäbe es heute keine vollständige Bibel.

Glaube ist nicht Privatsache, genauso wenig wie alles andere. Denn Christen müssen für- und miteinander leben, nicht nebeneinander!

Ich glaube, in unseren Gemeinden fehlt es einfach an Gespräch und an Mut zu Herz und Gefühl. Wo läßt das Gemeindeleben oder die Liturgie Raum für ein freies Gebet,persönliche Bitte oder Dank, oder einen kurzen Erfahrungsbericht? Wäre es wirklich so absurd, wenn im Wortgottesdienst einer ans Mikrophon tritt und sagt: „Gott hat in meinem Leben gewirkt!“?

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