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Gondeln für Schönbrunn

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Durch den Schönbrunner Park zu streifen, allein, zu zweit, an einem nebligen Nachmittag im Herbst oder im filigranen Schatten eines nach Frische duftenden, unter dem zarten Blau des Himmels apfelgrün schimmernden Morgens im Frühling - in solchen Minuten, glücklichen halben Stunden läßt sich der genius loci vernehmen: vielleicht treten manche einstigen Bewohner des Schlosses in - imaginäre - Erscheinung, vielleicht auch nur ihre einstigen Ratgeber, Herzensfreunde, Domestiken oder Minister, vielleicht aber begnügt sich die Phantasie damit, sich einem nicht näher bestimmbaren, elegischen oder heiteren Augenblick zu öffnen. Das Beben eines Schattens, der Anblick der künstlichen Ruine, die Ruhe in der üppigen Schwüle des Rosengartens an einem Sommertag mögen genügen, um jenen Weg nach innen, zur lautlosen Meditation, vielleicht nur zum gedankenlosen Verweilen einzuschlagen.

„Hoho, haha, der Zeitgeist ist da!“ ruft in der nächsten Sekunde eine fröhliche, von allzu viel angelesenem Wissen nicht gehemmte Stimme, und stellt mit jener höflich sein wollenden Selbstmäßigung der pausbäckigen Besserwisserei die Frage: „Warum so elitär, Herr Dichter?“ Und weiter kräht es dann: „Nur den Einheimischen und unter ihnen nur den Gebildeten kommen im Schönbrunner Schloßpark die Kaiser entgegen! Was aber soll mit den Ungebildeten und mit den Ausländern geschehen? Ihren Gruppen, Legionen, Heerscharen muß etwas geboten werden, und zwar möglichst keine Qualität - Perlen vor die Säue! -, dafür aber möglichst Quantität, also eine Vielzahl und Vielfalt von Erlebnissen wie die sind: Essen, Trinken, Souvenirs, Springbrunnen in allen Farben, Sängerknaben, Lipizzaner, alles, was sich fortbewegt - weiße Schlitten für den Winter, weiße Kutschen für den Sommer, Rothschilds erster Eisenbahnzug als niedliche Liliputbahn, Gondeln in eigens angelegten Kanälen (gehörte einst Venedig nicht zu Österreich?), Heißluft-Ballons in der Form von Mozartkugeln, im Schloß selbst rauschende Bälle, Feste aller Art, nächtliche Besichtigungen, und das Bedienungspersonal in Kassen, Läden, Restaurants und Imbißstuben, Schlitten, Kutschen, Zügen, Gondeln, Ballons, mit einem Wort überall barock gewandet, weiße Kniestrümpfe, man kennt sie, dazu weiß gepuderte Perücken. Woher nehmen? Im .Historyland' Zwen-tendorf haben bis dahin die auserwählten niederösterreichischen Arbeitslosen längst gelernt, das Nicht-Kostüm des Neandertalers, die Kostüme der Sumerer, Ägypter, Griechen, Römer, Ritter, Wagner'-schen Meistersinger und eben auch des barocken Pflanz und Glanz gegen ein mäßiges Monatsgehalt wie die zweite Haut zu tragen. Zwei Barockdarsteller aus Zwentendorf und ein kurzer Kurs genügen, die Österreicher sind ja ohnehin geborene Komödianten, ,Verkauft's mein Gewand...', nein, also das ginge zu weit, aber spnst ist die Idee glänzend: die original Barockschrammeln können den Erlebnispark Schönbrunn weiter bereichern.“

So weit wird es nicht kommen, meint der zuständige Bundesminister, der allerdings Schloß und Park - „mit den entsprechenden Auflagen“, versteht sich - einem privaten Pächter überlassen will. Das rührt an grundsätzlichen Fragen. Welche Auflagen hält man für „entsprechend“? Wo liegen die Grenzenzwischen „zumutbar“ und würdelos, und wer will sie nach welchen Kriterien bestimmen? Wodurch wird ein „Erlebnispark“ zum Erlebnis? Durch die Fülle des Gebotenen? Durch Nervenkitzel und historisierende Vermummung? Oder durch strengste Konzentration auf das Gesamtkunstwerk Schloß und Park?

Weiters: Welche Bereiche der kulturellen Volksbeglückung sind es, von denen sich der Staat tatsächlich zurückziehen soll, welche sollen von der res publica im Interesse aller Bürger weiterhin gepflegt, durch zeitgemäße Erneuerung der Verwaltung auch in finanzieller Hinsicht wirkungsvoller geführt und notfalls gegen zerstörerische

Nebenwirkungen des Massenansturms verteidigt werden?

Endlich: Gibt es zwischen der geplanten Verpachtung Schönbrunns und dem nachl992 möglichen Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft einen Zusammenhang? Glaubt man vielleicht, der gemeinsame Markt wird - der Kaufkraft der Konsumenten einer Freizeitgesellschaft entsprechend - die Errichtung von Disneyländern erzwingen und den europäischen Tourismus den Sitten und Erfordernissen des american way of life unterordnen?

Eine Fernsehdiskussion erbrachte den Beweis, daß man im Wirtschaftsministerium den ungeheuren und vielleicht ungeheuerlichen Schritt zur halben Privatisierung Schönbrunns wohl vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt untersucht hat, doch die grundsätzlichen Fragen bisher nicht zu formulieren vermochte.

Ein neu gegründeter Verein, die „Freunde von Schloß Schönbrunn“, vom Kunsthistoriker Walter Ko-schatzky ins Leben gerufen, bisher behutsamer, allerdings auch kompromißloser Gegner des Verpachtungsplanes, wurde vom zuständigen Bundesminister eingeladen, an der Erarbeitung einer Lösung im Geiste des Konsens mitzuwirken.

Es gibt allerdings Fragen, die einvernehmlich nicht gelöst werden können. Konsens wäre in diesem Fall Verrat am Geist. Das ist von Walter Koschatzky nicht zu erwarten. Ein offener Konflikt scheint unvermeidbar: der Plan des Bundesministers richtet sich allzu schroff gegen das Wesen unserer Kultur, verletzt als prominenter Präzedenzfall allzu brutal die Grundsätze unserer Denkmalpflege, trifft zudem das empfindliche Mark unseres Europäertums.

Der Bundesminister sollte zur Kenntnis nehmen, daß in diesem Fall eine zahlreiche und zurecht aufgebrachte Gegnerschaft alle Möglichkeiten der Demokratie nutzen wird, die Verpachtung Schönbrunns an einen privaten

Unternehmer zu verhindern. Die wünschenswerte legistische Alternative wurde vom Biologen Antal Festetics bereits formuliert: Schönbrunn möge dem bisherigen Kompetenzen-Labyrinth vierer Bundesministerien entzogen, dem Wirtschaftsministerium unterstellt und etwa nach dem Muster eines Nationalparkes vom Staat verwaltet werden.

Das heißt: eine Reform der Finanzgebarung ist zu begrüßen, eine Verwandlung Schönbrunns in einen „Erlebnispark“ abzulehnen. Wohl kann eine intensivere Nutzung des Schloßtheaters, eine zeitgemäßere Präsentation der Wagenburg, die Einrichtung eines guten Restaurants irgendwo in einem Nebentrakt, die Erweiterung des gegenwärtigen Buchverkaufs - und eine bessere Aufklärung der Besucher über die historische, architektonische und künstlerische Bedeutung Schönbrunns - freilich nur von Nutzen sein, und niemand wird vom Staat verlangen, Wirtshäuser und Buchläden zu betreiben; doch damit sind der Privatpacht klar erkennbare Grenzen gesetzt.

Denn die Kulturgeschichte selbst ist wichtiger als ihre Vermarktung, und wer den Verkauf der Substanz über diese selbst stellt, schädigt die Substanz. Diese ist nur qualitativ, nicht aber durch das Quantum der Darbietungen zu messen, folglich ist jeder „Erlebnispark“ ein Unsinn: er muß notwendigerweise vom eigentlichen Erlebnis - dem Gesamtkunstwerk Schloß und Park -ablenken. Und: der american way oflife ist wohl den USA, nicht aber uns angemessen. Eine europäische Gemeinschaft wird in der Lage sein, ihr eigenes Wesen organisch weiterwachsen zu lassen.

Der Plan des Wirtschaftsministers steht im Zeichen des gleichen extremen Materialismus, dessen Weltsicht in unseren östlichen Nachbarländern gerade zusammenbricht. Gibt es also eine ausgleichende Ungerechtigkeit? Ist es möglich, daß die Verblendungen des extremen Materialismus nun vom Osten in den Westen übersiedeln? Und wollen wir den intellektuellen Eliten Prags, Budapests und Ost-Berlins, die ihr Recht auf Geschichtlichkeit und ihren Anteil an einem metaphysischen Sein gerade erst erkämpft haben, Schloß Schönbrunn als einen Ort präsentieren, dessen Historizität durch ein billiges Spektakel verdrängt, dessen Geist durch das Klingeln der Kassen zum Schweigen gebracht und dessen weitere Existenz durch Entwürdigimg in Frage gestellt wird?

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