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Hoffnung und Revolution

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Das vorliegende Buch enthält drei Referate, die bei der Hauptversammlung der Görresgesellschaft 1973 gehalten wurden. Wenn auch nominell mit verschiedenen Themen befaßt, beschäftigen die Redner sich doch lediglich mit einem Problem, mit der Konfrontation der Kirche mit der Welt in ihrer soziopolitischen Darstellung.

Winfried Becker (Zur Deutungsmöglichkeit der Reformation als Revolution) geht von semantischen Aspekten aus, bei Einbindung des Revolutionsbegriffes in die Situation der Reformation. Dem Referenten geht es um die Frage, ob die Reformation, lokalisiert in einer bestimmten Entwicklungsphase der Kirche, diese, oder besser das Christentum und die korrespondierende Gesellschaft, in einer Weise geändert hat, die man als revolutionär kennzeichnen kann. Der Referent verneint dies einerseits, weil es an dem für eine Revolution kennzeichnenden hohen Bewegungskoeffizienten gefehlt hat und anderseits, weil es nun die Fürsten waren, welche die Kirche weitgehend repräsentierten, so daß es kaum au strukturellen Änderungen kommen konnte. An der Basis fand jedenfalls nicht jener Wandel statt, welcher die Kennzeichnung der Entwicklung als revolutionär im Sinn unseres Verständnisses rechtfertigt.

Hans Maier (Demokratie, Kirchliches Lehramt und Wissenschaft — 1789 bis heute) orientiert seine Darstellung über die Aussagen des kirchlichen Lehramtes zur Demokra-

tie vor allem an französischen Verhältnissen ab 1789. Demokratie wird von der Kirche in jenem präskrip-tiven Sinn verstanden, wie ihn die Ideologen der Französischen Revolution praktizierten. Das hieße in der Sache Kirche: Deren Verschmelzung mit dem etatistischen Apparat, ein logisches Konzept angesichts dessen, daß es sich beim Jakobinismus lediglich um einen „umgestülpten Absolutismus“ handelt.

Das Nein des Lehramtes zur Demokratie des Ursprungs war daher ein solches zu einer besonderen geschichtlichen Darstellung der Demokratie, die absolute Souveränität des Staates gegenüber allen Individuen und intermediären Institutionen beanspruchte. Die Annäherung des Lehramtes (nicht der Kirche, die nicht nur ein Tatbestand des Lehramtes ist) vollzieht sich im Verlaui der Rezeption pluralistischer Ideen durch die Vertreter der Demokratie — also mit der Konstitution des (Mehr-)Parteienstaates.

Das Referat von Manfred Spieker (Das Problem der Revolution im Dialog zwischen Christen und Marxisten) hat den Charakter eines Rückblicks auf den in seiner bisherigen Form offenkundig beendeten Dialog zwischen Christen und ethisch orientierten Marxisten, der angesichts einer bemerkenswerten Konvergenz von Thesen, soweit sie auf Tagungen präsentiert wurden, vor etwa zehn Jahren begonnen wurde. Anfänglich ging es keineswegs um ein gemeinsames Revolutionsverständnis, sondern um den Versuch,

jene Bereiche zu orten, in denen Marxismus (als Ideengebäude) und Christentum Gemeinsames von den Ursprüngen her besitzen.

Die Entwicklung einer Theologie der „Hoffnung“ und jener der „Revolution“ (Nell-Breuning nennt sie „Bindestrichtheologien“) ist nicht im Bereich des Dialoges erfolgt, sondern hat (zumindest auch) andere Antriebskräfte. Jedenfalls nahm die Theologie der Hoffnung eine Konvergenz von Transzendenz und Zukunft, eine tendenzielle Kooperation von profan orientierter Theologie und nur^profaner Revolution an; in dieser wird erst das Wort Gottes de-

chiffriert, operationalisiert, praktikabel. Der Verfasser geht vom Ende des Dialoges und von seinem Übergang in einen Monolog aus, von der völligen und gegenleistungslosen Aufnahme des Marxismus in die Theologie der Revolution.

Die drei Referate sind eine ungemein dichte und instruktive Darstellung jener Probleme, mit denen sich Kirche und Katholizismus in ihrer Konfrontation mit der Welt der Politik seit zwei Jahrhunderten auseinandersetzen. Gleichzeitig wird die Kirche von innen her durch eine Politische Theologie stimuliert, durch einen neuen Politischen Katholizismus, der bereit ist, sich anzupassen; bei Gefahr einer Vereinseitigung und unter den Aspekten eines linken Klerikalismus.

REVOLUTION — DEMOKRATIE — KIRCHE von Winfried Becker, Hans Mai er und Manfred Spieker. Verlag Ferdinand Schöning, Paderborn. öS 61.60.

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