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Jüdischer Minnesänger als Romanfigur

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Nach zwanzig Jahren, ausgefüllt vorwiegend mit publizistischer Tätigkeit, bricht der Romancier Friedrich Torberg endlich sein Schweigen mit dem Roman Süßkind von Trim-berg. Mit diesem Minnesänger aus der Würzburger Gegend hat es seine besondere Bewandtnis: er ist der erste Jude, der in deutscher Sprache dichtete. Schlägt man ein Lexikon auf, findet man darin eine Notiz wie die folgende: Spruchdichter aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, der einzige jüdische Dichter, der aus der mittelhochdeutschen Lyrik überliefert ist; sechs Sprüche sind erhalten, inhaltlich neigt er zum Deismus und zu sozialer Emanzipation.

Von seinem Leben ist kaum etwas bekannt; eine zeitgenössische Miniatur zeigt ihn mit spitzem Judenhut. Der Roman gibt also eine fiktive Le-bensgeschichte, erwachsen einzig und allein aus sorgfältigem Studium der Zeitatmosphäre, der politischen, sozialen und kulturellen Zeitgeschichte: so könnte sein Leben gewesen sein, will Torberg sagen, wenn man an die Verfolgungen denkt, unter denen die Juden in Deutschland damals leben mußten, und an die Wirkungen, die unter derlei Bedingungen die sozialen Gedanken und Anklagen seiner Gedichte zeitigen mußten.

Auf vielen Fahrten durch die deutschen Lande läßt Torberg seinen Süßkind lange Zeit unter dem Schutz wechselnder Adelsherren stehen: er ist Gast auf vielen Schlössern, aber er kehrt auch bei den Judengemeinden ein, doch seine Demut weicht mit wachsendem Ruhm einem immer stärker herausgekehrten Stolz, bis er schließlich weder bei den deutschen Herren noch bei den jüdischen Brüdern mehr gelitten ist, von den einen verstoßen, von den anderen gemieden. Einst ritt er auf eigenem Pferd von Ort zu Ort — „so wie er jetzt daherkommt, im abgerissenen Gewand, das Schnürbündel am Stock über die Schulter, den häßlich verbeulten Spitzhut schief überm Kopf, das schüttere Grauhaar seines Barts wirr von den Wangen herabwuchernd — so läßt man ihn bald nirgends mehr ein.“ Eines Tages endet sein Leben: er kommt zu Tode bei einem Judenpogrom.

In seinen Roman hat Torberg die sechs erhaltenen Lieder Süßkinds hineinkomponiert — und zwar In eigener formvollendeter Nachdichtung, in der sich erlittenes Leid und trotziges Aufbegehren zu einer Melodie von dunklem Klang verbinden, während im Anhang des Romans die mittelhochdeutschen Originaltexte wiedergegeben werden. Die Phantasie des mit dem Lebenslauf seines Helden scheinbar freischaltenden Romanciers findet in den Liedern Rückhalt, Richtung und Rechtfertigung. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Lied vom Wolf zu, in dem Süßkind die als schuldlos sich hinstellenden Herren als die wahrhaft Schuldigen an der Schuld der armen Leute anklagt, und ebenso dem revolutionären Lied gegen den Adel: „Wenn Adel Adeliges tut / verdient er seinen Namen / doch überkommt ihn Frevelmut / gleicht er gemeinstem Samen.“

So nimmt aus der Einfühlung in die wenigen erhaltenen Zeugnisse die historisch dürftige Figur des jüdischen Minnesängers Süßkind von Trimberg eine ebenso glaubwürdige wie plastische Gestalt an. Ein exemplarisches Leben weitet sich zum

Symbol für jüdisches Schicksal, stellvertretend für millionenfaches Leid bis zum heutigen Tage. Welche Uber-legtheit bei der sprachlichen Gestaltung des Romans waltete, zeigt Torbergs von der Regel abweichende Interpunktion: dort, wo der Fluß der Sprache eine Pause macht, läßt er einen vorgeschriebenen Beistrich weg, und dort, wo sich in der Sprache eine Zäsur ergibt, fügt er sinngemäß einen wenn auch nicht hingehörigen Beistrich ein. Dadurch provoziert er die Bewußtwerdung der dem Roman innewohnenden Sprachmelodie, die sich derart auf den Leser überträgt, daß er sich stets versucht fühlt, leise mitzusprechen.

SÜSSKIND VON TRIMBERG. Roman von Friedrich Torberg. S. Fischer, Frankfurt 1972. 312 Seiten. Leinen, etwa DM 24.—.

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