Strandbad - © Foto: picturedesk.com / Austrian Archives / Imagno (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Leere, die den Blick auf die Tragik der Zeit verstellt

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Von jungen Menschen Anfang der 1930er-Jahre erzählte Friedrich Torberg in seinem zweiten Roman.

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Von jungen Menschen Anfang der 1930er-Jahre erzählte Friedrich Torberg in seinem zweiten Roman.

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Ein Sommer Anfang der 1930er-Jahre. Kaffeehaus- und Strandbadbesuche, Landpartien und Gedanken über die Liebe und das Leben – akribisch festgehalten in kontinuierlichen Tagebucheinträgen. Bunt, was die Emotionen und Sehnsüchte anbelangt, erscheint den jungen Menschen das Leben hier, und trotzdem ziemlich schwierig und verstrickt. Als Friedrich Torberg seinen zweiten Roman „... und ­glauben, es wäre die Liebe“ 1932 veröffentlicht, ist er selbst 23 Jahre alt. Mit seinem vielversprechenden Debüt „Der Schüler Gerber“ hat er die Latte hoch gelegt. Rückblickend lässt sich sagen, dass der zweite, mit dem Julius-Reich-Preis ausgezeichnete ­Roman beispielsweise im Vergleich zu seiner ­berühmten Anekdotensammlung „­Tante ­Jolesch“ kaum an Popularität gewonnen hat, obgleich ihn die Kritik damals durchaus auch wohlwollend bedacht hat.

Das „Drama der Unaussprechlichkeit“

Schon im „Schüler Gerber“ steht eine Schar junger Menschen im Mittelpunkt, gruppiert um einen Protagonisten. In diesem Roman verarbeitet Torberg Erfahrungen aus seiner Schulzeit, indem er die rigiden Hierarchien dokumentiert, die sich damals durch alle Bereiche des Lebens ziehen. Mit dem Selbstmord des Protagonisten entlarvt er die Unmenschlichkeit gesellschaftlicher Strukturen, an denen Gerber gnadenlos zerbricht. Torberg zeigt seine Hauptfigur in einer sensiblen Lebensphase als einen Suchenden, der am verkrusteten Machtgefüge ebenso wie an den an ihn gestellten Anforderungen scheitert.

Im zweiten Roman greift Torberg Motivsplitter daraus wieder auf, aber aus völlig neuer Perspektive betrachtet. Auch hier geht es um Liebe und um die Sinnsuche in der Auseinandersetzung mit dem Leben; wie bereits im „Schüler Gerber“ bleibt der Selbstmord eine Option. Das Geschehen kreist um ein paar junge Leute Anfang Zwanzig, die in ihrer ganz privaten Situation gezeigt werden. Im Alltag scheint sie nicht zu tangieren, dass die Zeit politisch sehr brisant ist. Denn in ihren zahlreichen Begegnungen ist nie die Rede von Politik oder gar sozialen Krisen. Peter Zimmermann verweist in seinem profunden Nachwort der Neuauflage darauf, dass Torberg gerade dies von der Kritik vorgeworfen worden ist: „Wie kann man ausgerechnet die Liebeswirren einer Handvoll junger Menschen, die sonst scheinbar keine Sorgen haben, vor solch einem historischen Hintergrund zum Thema eines Romans machen? Warum diskutieren diese Menschen [...] nicht die politische und wirtschaftliche Lage des Landes, in dem sie leben?“ Zimmermann sieht den Grund dafür im „Drama der Unaussprechlichkeit“, das sich wie ein roter Faden durch diese Prosa zieht. Er konstatiert darin Sedimente der Sprachskepsis, wie sie Fritz Mauthner oder Hugo von Hofmannsthal damals konkretisiert haben.

Die jungen Leute treffen einander ­einen Sommer lang, pflegen Freundschaften oder als Konkurrenten nur losen Kontakt. Im Fokus stehen Beziehungen verbunden mit ständig neuen emotionalen Metamorphosen und Verirrungen. Die Protagonisten scheinen über ein großes Kontinuum an Zeit zu verfügen. Ihr Leben erinnert an das der Bohemiens zur Zeit der Wiener Moderne, auch wenn man sich explizit und bewusst davon abgrenzt: „Das Kaffeehaus ist durch die anekdotische Überschätzung einiger harmloser Literaten in Verruf gekommen.“ Trotzdem geht man zum Mokkakränzchen ins Café, trifft einander zu zweit oder macht Ausflüge: „Über ihren Lebensunterhalt geben sie keine Rechenschaft ab, man dichtet, malt oder studiert, ohne Leidenschaft allerdings und ohne rechte Vorstellung davon, wie man sein restliches ­Leben zu gestalten beabsichtigt, denn was wäre das für ein Leben, das unsere Eltern verstünden? Von diesen hat man sich ein wenig abgesetzt, aber doch nicht so weit, als dass man sich Sorgen machen müsste um offene Rechnungen“, heißt es bei Zimmermann.

Unter den jungen Menschen nimmt Walter Grohmann gewissermaßen eine Schlüsselrolle ein. Er studiert auf Wunsch seines Vaters Jus, obwohl er „Obrigkeiten“ und „offizielle Befugnisse“ verabscheut, und im Wissen, dass er den Beruf eines Advokaten niemals ausüben wird. Er lässt sich vielmehr von seinen schriftstellerischen Ambitionen leiten und lernt Tanja kennen, die geheimnisvollste Frau der Gruppe. Als er sich in sie verliebt, ist es seine Intention, „das Tagebuch einer Liebe“ zu führen, den Gefühlsverlauf festzuhalten und sich der „Ehrlichkeit des Selbstgesprächs“ zu stellen, das er zudem auch als „Training der Selbstdisziplin“ sieht. Auch die Freunde notieren ihre Befindlichkeiten, was erstaunt und ungewöhnlich ist. Häufig wird ein und dasselbe Ereignis daher polyperspektivisch und unterschiedlich dargestellt. Manche entblößen darin ungewollt ihre eigene Oberflächlichkeit, manche wirken verbindend und integrativ, andere wiederum zeigen sich in ihrer ganzen Verletzlichkeit. Selbst der unerfüllten Sehnsucht lässt sich noch ein Stück Wonne abgewinnen. „Man kann nicht ‚unglücklich lieben‘. Man kann nur unglücklicherweise nicht geliebt werden. Aber Lieben ist immer Glück.“

Vergebliche Suche nach der Wahrheit

Betrachtet man die Gruppe, in der sich permanent neue Beziehungskonstella­tionen ergeben, vor dem historischen Hintergrund, so erstaunt der freizügige Umgang mit Sexualität in einer konservativen Gesellschaft, auch wenn einer der Freunde eines Tages ganz ernüchtert festhält, dass sie „ganz einfach eine Gesellschaft von Übertreibern“ seien: „Ich möchte wissen, wo da also der Unterschied liegt zwischen gestern und heute, zwischen der Moral von einst und der ,Unmoral‘ von jetzt.“ Präzise hat Torberg in diesen Tagebuchaufzeichnungen eine Generation junger Menschen porträtiert, deren Suche nach Wahrheit ins Leere läuft. Auch wenn den Reflexionen der Protagonisten einiges an Straffung gut getan hätte, gewähren sie einen interessanten Einblick in das Lebensgefühl einer Jugend, die zwischen Identitätsbrüchen, Ohnmacht und Untätigkeit auf dem Weg ist, viel zu verlieren. Als Schlussmotiv kristallisiert sich immer mehr die Leere heraus, die den Blick auf die Tragik der Zeit verstellt.

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