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Kampf gegen den „Malus“

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Nicht von Wien, wo sie es am nötigsten hätte, sondern vom fernen Westen der Republik gehen Bemühungen der großen Oppositionspartei aus, der Regierungspartei planmäßig Positionen auf Gemeinderatsebene streitig zu machen. Die vom letzten Bundesparteitag der ÖVP im Februar des Vorjahres beschlossene Gründung einer Kommunalpolitischen Vereinigung unter konservativen Auspizien fand am 20. Dezember statt — Präsident wurde der Innsbrucker Bürgermeister Lugger, als seine Stellvertreter fungieren Gemeinderat Bacher aus Salzburg .und Bundesrat Bürgermeister Göschlbauer aus Asperhofen in Niederösterreich.

Motiv dieser Gründung ist die Erkenntnis, daß die große Oppositionspartei . drei Nachkriegs Jahrzehnte lang kommunalpolitische Problemstellungen vernachlässigt hat. Wahrscheinlich hat ihre fünfundzwanzigjährige Erbmehrheit auf Bundesebene dazu geführt, daß alle wichtigen Fragen auf den Gebieten der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik unter bundespolitischen Blickwinkeln betrachtet und auf Bundesebene entschieden wurden. Dabei wurde die sozialistische Mehrheit im „roten Wien“ mehr oder weniger als unabänderliches politisches Faktum hingenommen.

In den letzten Jahren aber gewann die Kommunalpolitik allenthalben an Bedeutung. Während in den Großstädten politische Unzufriedenheit zu einem großen Teil aus den Unzukömmlichkeiten des Lebens in den großen Agglomerationen resultiert, weil der größte Teil der Wähler ja nicht auf Grund theoretischer Analysen oder mehr oder weniger zündender Wahlslogans, sondern seiner alltäglichen Erfahrung entscheidet, erweist sich in den kleineren Gemeinden, also dort, wo das Leben noch nicht im selben Ausmaß in Unordnung geraten ist, die Kommunalpolitik als günstiger Ausgangspunkt zur Kontaktherstellung und politischen Motivierung.

Der politische Schaden, der der ÖVP aus ihrer kommunalpolitischen Inaktivität erwuchs, kann höchstens geschätzt werden, aber jetzt ist es mit der kommunalpolitischen Abstinenz vorbei. Die Kommunalpolitische Vereinigung entfaltet ein breitgefächertes Tätigkeitsprogramm, das politische Grundsatzarbeit in Projektteams und Fachausschüssen, eine demnächst stattfindende Enquete über „Öffentlichkeitsarbeit in der Gemeinde, den Aufbau kommunalpolitischer Dokumentationen und kommunalpolitische Bildungsarbeit in Zusammenarbeit mit dei Politischen Akademie der ÖVP umfaßt. Wesentliche Programmpunkt der grundsätzlichen Arbeit werder in der Entwicklung eines kommunalpolitischen Programms der ÖVP sowie von Grundlagen für die Parteiarbeit in der Großstadt gesehen.

Vor allem aber trat die Kommunalpolitische Vereinigung mit dei ersten Ausgabe ihrer kommunalpolitischen Zeitschrift „Kom“, die sechsmal pro Jahr erscheinen wird, an die Öffentlichkeit. Sie ist vor allem für Bürgermeister, Gemeindemandatare, den örtlichen Parteiapparat, Landtagsabgeordnete, Meinungsbildner, kommunale Institute und so weiter bestimmt und wird in der Kommunalpolitik den Schwerpunkt auf die Politik legen, wird aufzuzeigen suchen, daß auch in der Kommunalpolitik jede Sachentscheidung zugleich eine politische Entscheidung ist. Kommunalpolitische Programme und die Parteiarbeit in der Gemeinde bilden den Schwerpunkt des ersten Heftes, Finanzpolitik in der Gemeinde, Freizeit und Gemeinde, Planung und Öffentlichkeit sowie Kulturpolitik in der Gemeinde werden die Schwerpunkte der weiteren 1975 erscheinenden Nummern sein.

Im ersten Heft schreibt Bürgermeister Lugger über „Gemeinde als lebendige Demokratie“, Erhard Busek über „Parteiarbeit in der Gemeinde“, Bernd Schilcher über „Kommunalprogramme — wozu, für wen, wie?“.

Die kommunalpolitische Initiative kommt zur rechten Zeit: In der Steiermark, in Vorarlberg und Niederösterreich stehen Gemeinderatswahlen bevor. Programme, meint die „Kom“-Redaktion, seien zwar kein Garant für einen Wahlerfolg, zusammen mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit und geeigneten Persönlichkeiten, aber ein ausgezeichneter Start für den Wahlkampf.

Nichts zeigt deutlicher die Wichtigkeit kommunalpolitischer Appelle und Schwerpunkte als die — von Helmut Kukacka erläuterte — Analyse der oberösterreichischen Landtags- und Gemeinderatswahlen, die am 21. Oktober 1973 gleichzeitig stattfanden und einen auffallenden „Gemeinderatsbonus“ für die SPÖ brachten. In den Gemeinden schnitt die ÖVP um 1,34 Prozent schlechter ab als im Landtag, während die SPÖ um 0,48 und die FPÖ um 0,73 Prozent besser abschnitt. Man spricht also vielleicht besser nicht von einem „SPÖ-Bonus“, sondern von einem „ÖVP-Malus“, von dem ja auch die FPÖ profitierte. Dabei schnitt die ÖVP in den Kleingemeinden unter 1000 Einwohnern besser ab als in den Großgemeinden.

Im Dschungel der Großstädte tut sich die konservative Partei schwerer, obwohl hier, angesichts eines gewaltigen Potentials von Unzufriedenheit und Unbehagen, eines ihrer großen Hoffnungsgebiete liegen sollte. Vor allem in Wien fehlt es noch immer an Schwung und Dynamik — die SPÖ beginnt einem Boxer zu gleichen, der sich daran gewöhnt hat, seine Deckung zu vernachlässigen, weil sein Gegner ohnehin nicht zuschlägt. Blößen gäbe es gerade hier genug...KARL ERKL

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