6863093-1977_44_13.jpg
Digital In Arbeit

Kann Musik etwas mitteilen?

19451960198020002020

Die alte Frage nach dem Vorrang von Musik oder Text will nicht verstummen. Nur: hier geht es nicht um Opernästhetik (wie in Richard Strauss’ „Capriccio”, wo diese Frage aufgeworfen ist); hier geht es um die Erwägung, ob Musik in der gegenwärtigen Situation, also die Neue Musik, überhaupt in der Lage ist, Wesentliches mitzuteilen. Dieses Problem ist von zentraler Bedeutung. Wird es scharf genug formuliert, und zwar nicht zuletzt in der musikalischen Produktion selber, so rücken endlich einmal die fruchtlosen Erörterungen über Dissonanzen oder Harmonie, über neue oder alte Tonalität, Geräusch oder Klang, „schön” oder „häßlich” an die zweite Stelle. Die Donaueschinger Musiktage 1977 standen ganz im Bann dieses Problems.

19451960198020002020

Die alte Frage nach dem Vorrang von Musik oder Text will nicht verstummen. Nur: hier geht es nicht um Opernästhetik (wie in Richard Strauss’ „Capriccio”, wo diese Frage aufgeworfen ist); hier geht es um die Erwägung, ob Musik in der gegenwärtigen Situation, also die Neue Musik, überhaupt in der Lage ist, Wesentliches mitzuteilen. Dieses Problem ist von zentraler Bedeutung. Wird es scharf genug formuliert, und zwar nicht zuletzt in der musikalischen Produktion selber, so rücken endlich einmal die fruchtlosen Erörterungen über Dissonanzen oder Harmonie, über neue oder alte Tonalität, Geräusch oder Klang, „schön” oder „häßlich” an die zweite Stelle. Die Donaueschinger Musiktage 1977 standen ganz im Bann dieses Problems.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Komponist Vinko Gobokar ist der Meinung, Musik allein reiche nicht aus, Zeichen von Bedeutung zu setzen: an entscheidenden Punkten müßten Texte, aber auch Haltungen, Gesten, eine genaue Bestimmung des „Umfeldes”, in dem Musik ertönt, dazukommen. Strikt, auskomponierte „Standpunkte 1976/77”, die spektakulärste Uraufführung in Donaueschingen, bedeuteten eine Art Zwischenbilanz des Musikdenkens von Globokar - eines Nachdenkens über marktgerechtes Virtuosentum, über musikalisches Bla-Bla ohne Bezug auf die sozialen Gegebenheiten, über Institutionen wie Donaueschingen, über die kleine Chance einer Freisetzung von Kreativität im Kollektiv, in der Gruppe, und schließlich über Text und Musik.

Die in diesen „Standpunkten” verwendeten Texte stammten zum Teil von Globokar selbst, zum anderen Teil von Albrecht Betz (der wie Globokar in Paris lebt und im Vorjahr ein aufschlußreiches Buch über Hanns Eisler veröffentlicht hat). Sprachliche Bestandteile einer Komposition, demonstriert Globokar anhand von Beispielen, werden von einer avancierten Musik derart eingeebnet, daß es gänzlich gleichgültig ist, welche Mitteilungen sie enthalten; ein fragwürdiger „Ausweg” bestünde nur darin, die Texte mit banaler oder sehr stereotyper Musik zu umgeben. Dann werden sie unter Umständen zwar verstanden, aber von einer Wort-Musik-Komposition läßt sich nicht mehr sprechen. Vorläufiges Fazit: ein gewisses Maß von Unverständlichkeit, das aber die Phantasie anregen kann, muß in Kauf genommen werden.

An dieser mangelhaften Verständlichkeit von Texten entzündeten sich in Donaueschingen erregte Disskus- sionen mit dem Komponisten. Vor allem einige Orchestermitglieder wollten genau wissen, „woran sie sind”. Versteckte Aggressionen wurden laut, aber sie könnten, meine ich, umgepolt werden: in jenes Vertrauensverhältnis, jene Gruppenprozesse, von denen sich Globokar größere Effektivität erhofft Wenn die Institution, wenn der Musikbetrieb es zuläßt.. .Das „Ge- gen-Stück” in der Text-Musik-Be- handlung war ein Zyklus von Heinz Hollinger: „Die Jahreszeiten”, für gemischten Chor gesetzt nach Gedichten des späten Hölderlin, in denen er sich hinter der Namensmaske Scardanelli verbarg. Versucht ist, für die Seelenlage Hölderlins, von dem die traditionelle Germanistik immer noch behauptet, daß er umnachtet gewesen sei, musikalische Entsprechungen zu finden.

Das gelingt auf der musikalischen Ebene exzellent. Die seelische Gebrochenheit, die innere Verlorenheit, die Maskierungen Hölderlins kommen heraus. „Der Frühling” beispielsweise: Hölderlin-Scardanelli beugt sich „untertänig” dem Klischeedenken „Frühling”, die Leute bekommen, was sie haben wollen. Holligers Chorlied schlägt dem „neuen Tag”, den „Freunden”, der „Zukunft” ins Gesicht. „Espressivo mit fast leeren Lungen” - das tönt, als wollten die Silben nicht heraus, als ersticke der Ton Dem Wort „munter” verweigert sich der Gesang, die „Klage”, angeblich „entfernt zur Frühlingszeit”, schafft sich im Wortsinn Luft durch einen Sopran Musik und Wort kommentieren sich gegenseitig. Aber es ist paradox: gerade dieses musikalische Gelingen widerspricht ja der Hölderlinschen Verweigerung. Holliger holt nach, was Hölderlin mit Grund versagte. Die Uraufführung wurde heftig akkla- miert.

Kann Musik allein etwas mitteüen, kann sie „wesentlich” sein (nicht nur verschwommen und zeitraffend wiederholen, was man ohnehin weiß: daß emotionelle und intellektuelle Prozesse abgelaufen sind)? Brian Ferney- hough hat im Zusammenhang mit „Time and motionstudy II” für vokali- sierenden Cellisten und Live-Elektro- nik, einer weiteren Donaueschinger Uraufführung, die „real-time” ins Spiel gebracht; er meint, daß die „Real-Zeit” des Komponierens und der Aneignung durch den Interpreten (hervorragend: Werner Taube) polyphon in das Stück eingehen und dessen Eigenzeit durchdringen. Der Begriff aus der Computermusik-Sprache erweist sich als brauchbar und aufschlußreich. In das, was zu hören ist und in das, was davon aufgenommen wird, sind soziale, geistige, politische (und etliche andere) Faktoren eingegangen; das „Ganze”, das musikalische Kunstwerk, bleibt Utopie.

Welche Trends herrschen vor in der Neuen Musik? Eines der Merkmale auch in Donaueschingen: die Suche nach einem neuen Schönhertsbegriff, einer neuen Definition von Schönheit - mit dem Beiklang einer tiefen und nicht heilbaren Verwundung, verursacht durch die Erfahrungen mit der Gewalt, die sich nur allzugern mit Ästhetik verbündet. Dabei kommt es freilich zu Widersprüchen. Der Spanier Cristöbal Halffter schrieb beispielsweise „Variationen über den Widerhall eines Schreis” für Instrumente, Tonband und Live-Elektronik; der Akzent liegt dabei nicht auf dem Schrei selber, sondern auf dessen Widerhall oder Nachhall. Gemeint ist der Nachhall „aller Schreie, die der Mensch seit Urzeiten - aufgrund von Angst, Ungerechtigkeit und Schmerz, den ihm seine ,Brüder antaten - ausgestoßen hat” (Halffter im Kommentar zu der Uraufführung). Eine kontemplative, nach innen gewandte Musik; der Komponist beruft sich darauf, daß zum Beispiel in der Gregorianik ein Requiem kaum von einem Hallelujah unterscheidbar sei. Gleichwohl: Können die Schreie der Menschheit - auch im Nacherleben, in der musikalischen Sublimierung - so „schön” sein?

Donaueschingen ist heute wieder ein wichtiges Informations- und Dokumentationszentrum der Neuen und Neuesten Musik. Es wird von vielen jungen Menschen, vielen Nicht-Musikern auch, mehr und mehr in Anspruch genommen. Das Bild der Zuhörer hat sich in den letzten zehn Jahren merkbar verjüngt. Das Sinfonieorchester des Südwestfunks unter Emest Bour und.die Schola Canto rum Stuttgart, geleitet von Clytus Gottwald, sind exzellente Stützen. Ihnen zuhören, heißt auch: die Grenzen der Musik erfahren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung