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Katholiken zwischen Resignation und Aufbruch

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Auf einer Konferenz von Parteiaktivisten in Budapest sagte Jänos Kädär, Chef der ungarischen KP, Ende August: „Ich darf auch hier erwähnen, daß wir uns in bezug auf die gläubigen Menschen und die Kirchen in einer gänzlich anderen Situation befinden als vor fünf oder zehn Jahren. Die Kirchen sind ausnahmslos loyal zu unse- rem’System, sie akzeptieren den Sozialismus, als Ziel und Programm des Volkes. Es kann sein, daß die Kirchen damit ihr Leben verlängern. Auch sie leben innerhalb der sozialistischen Gesellschaft Aber wir müssen, um die Ziele der Revolution zu erreichen, mit allen Kräften Zusammenwirken, die zu einer Zusammenarbeit bereit sind. Wir haben von Lenin gelernt, und wir treten dafür ein, daß ein jeder Kompromiß annehmbar ist, der die Sache unserer Revolution fördert und nur jener Kompromiß ist abzulehnen, der dieser Sache schadet. Das ist kein Nachgeben im Grundsätzlichen, sondern eine im Interesse von konkreten Zielen verwirklichte politische Zusammenarbeit Wenn wir in einer gemischten, von Materialisten und Nicht-Materialisten bestehenden Gesellschaft leben, dann werden wir den Sozialismus eben so aufbauen, nur soll das möglichst rasch geschehen, möglichst fest werden und wir möchten möglichst schnell vorankommen.”

Die strategische Position, die Ungarns Kommunisten einnehmen, ist damit klar: sie sind, in einem begrenzten Rahmen durchaus bereit, der Kir-

che gegenüber Konzessionen zu machen, wenn sie damit den Episkopat, den Klerus und das Volk, für ihre Zielsetzungen gewinnen können. Gerade die fortschreitende Verwirklichung dieser Ziele und ein wachsender Säkularisierungsprozeß werde ja dann - so lautet die Hoffnung der Kommunisten - das religiöse Interesse auslöschen.

In ihrer Strategie können die Parteiideologen auf einen Bundesgenossen eher kapitalistischer Herkunft bauen: auf einen relativen Wohlstand, der in Ungarn, im Gegensatz zum theoretischen Materialismus, einen weite Kreise erfassenden praktischen Materialismus aufkommen ließ, der seinerseits die Gleichgültigkeit gegenüber geistigen Werten nährt

Dementsprechend sehen Ungarns katholische Intellektuelle den ärgsten Feind nicht so sehr in der marxistisch-leninistischen Ideologie, die kaum jemand ernst nimmt, als vielmehr in der praktischen Interesselosigkeit der Massen. Daß sie in einem System leben müssen, das sie nicht ändern können, haben sie bereits akzeptiert. Nicht ohne Grund vergleichen sie ihre Lage mit der Lage der französischen Katholiken in der Zeit nach der Französischen Revolution. Gerade in der strategischen Position der Kommunisten erblicken sie die Chance der Kirche. Wie in der nachrevolutionären Ära in Frankreich, müßten auch in Ungarn von heute viele Aufgaben verantwortungsbewußte Laien übernehmen, während Bischöfe und Priester den legalen. Rahmen ihrer Möglichkeiten mehr ausschöpfen müßten.

Der Vorwurf klingt durch: Dies werde eben nicht getan. Viele Priester berufen sich allzu gerne - so lautet die interne Kritik - auf die Furcht vor der Kollision mit den Behörden, um damit ihre Untätigkeit zu rechtfertigen. Dabei würde selbst der enggezogene Rahmen manche Möglichkeiten der Einwirkung auf Jugend und Erwachsene ermöglichen.

Eine andere Schwierigkeit entstammt dem allzu niedrigen Bildungsniveau des Klerus und des Volkes. „Ich möchte kein Festverderber und kein Pessimist sein”, schrieb Andräs Szennay, Abt der Benedikti- nerabtei Pannonhalma, in der katholischen Wochenzeitung Uj Ember, „dennoch erlaube ich mir die Bemerkung: die religiöse Bildung unseres heimischen Klerus und der Laien läßt noch viel zum Wünschen übrig.”

Eine gewisse engstirnige Mentalität zeigt sich auch folgerichtig in den Kreisen des Episkopats. Als sich auöh in Ungarn Basisgemeinden zu formen begannen, registrierte man sie mit Unbehagen, statt sie zu begrüßen, aus der Furcht heraus, sie könnten der allzu konservativ aufgefaßten Aufsichts-Pflicht des Episkopats entschlüpfen.

Erst diese innerkirchliche Kontroverse machte auch die Behörden auf die Basisgruppen aufmerksam. Gerade die Basisgemeinden sind aber jene Zelle der möglichen Erneuerung, die die Kirchenstruktur nicht nur festigen, sondern auch mit neuen Impulsen erfüllen können pnd über” die der Staat an) wemgßteoKotü.ro|lp.ausübep kann.

So ist die Sorge vieler Intellektueller in Ungarn heute nicht so sehr die unveränderte Zielsetzung des atheistischen Staates zur Eliminierung des Glaubens, als vielmehr die Furcht, daß die Kirche des Landes, aus Engstirnigkeit, mangelndem Mut, Eifer, Initiative und aus lähmender Resignation, den „Kairos”, die Möglichkeit der Stunde, unbenützt verstreichen läßt. Sie zitieren gerne jenen hohen Parteifunktionär, der gesagt haben soll: „Erwarten Sie nicht, daß wir Ihre Kirche erneuern.”

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