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Kirche, Ketzer, Klerikale

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Ein merkwürdiges Buch, dieses „Kirche, Ketzer, Klerikale“, und das in mehr als einer Hinsicht.-Zunächst läßt der Verfasser das vorgelegte Werk, welches einem äußerst brisanten Themenkreis gewidmet ist und daher eines breiten Interesses der Zeitgeschichte, aber auch einer freiten Öffentlichkeit sicher sein kann, im Selbstverlag erscheinen, obwohl man annehmen müßte, daß einschlägige Verlage dafür sicher ihr Interesse bekundet hätten.

Thema ist der Kirchen- und Kulturkampf vornehmlich in den Jahren der Ersten Republik: Hie bürgerlicher und marxistischer „Freisinn“ - dort eine Kirche, die, ständig in Rückzugsgefechte ver-

wickelt, unhaltbare kulturpolitische Positionen mit gleicher Zähigkeit verteidigt, mit der sie heute mitunter einen übertriebenen Laisser-faire-laisser-passer zu huldigen bereit ist. Kann man sich zum Beispiel im Licht der Gegenwart vorstellen, daß die Forderung nach der konfessionellen Schule für alle Katholiken noch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts trotz des Reichsvolksschulgesetzes von 1867 für christliche Politiker beinahe den Charakter eines Glaubenssatzes hatte, daß höchste Kirchenfürsten in Ohnmacht zu fallen drohten, als man sie zu einem gemeinsamen Schauturnen von Knaben und Mädchen einlud, von den regelmäßig vor Urnengängen von den Kanzeln verlesenen „Wahlempfehlungen“ ganz zu schweigen?

Zurück in diese Zeit führt uns in höchst anschaulicher Weise in Wort und Bild der Autor, der sich dabei — was seine persönliche Stellungnahme betrifft — äußerste Zurückhaltung auferlegt und nur die Fakten der Aufrufe, der Zeitungsartikel und Broschüren und — nicht zu vergessen — der statt mit Tinte stets mit Gift und Galle gezeichneten Karikaturen für sich sprechen läßt.

Die Aggressionslust und die Intoleranz der „Freidenker“ standen dabei ihren „klerikalen“ Gegenspielern in keiner Weise nach. Bald jedoch sieht sich die Kirche in Österreich und ihre Vorfeldorganisationen in einen Zweifrontenkrieg verwickelt: Neuheiden-

tum und „arische“ Gottgläubigkeit setzen unter dem vordringenden Hakenkreuz auch von rechts zum Angriff an. Am Ende stand 1938. — Aber auch die in den folgenden bösen sieben Jahren gewachsene Kraft und das Selbstvertrauen als „freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ (Mariazeller Manifest 1952) wirken zu können.

In jene bewegte Jahre führt uns Grobauers Buch also zurück — Zur Erinnerung aber auch zur Warnung. Kommen nicht gerade im Jahr des Papstbesuches in öster- reięh aus den sozialistischen Reihen manche Töne, die man für alle Zeiten verstummt hielt? Tauchen nicht da und dort wieder „Karikaturen“ auf (z. B. „Neue Zeit“, Graz, vom 12. Juli 1983), die nicht nur jeden guten Geschmack vermissen lassen, sondern auch eine klare Verhöhnung höchsten Glaubensgutes darstellen?

Dabei gibt es heute keinen klerikalen „Reibebaum“, keinen „Prälaten ohne Milde“ als Bun-

deskanzler etc. Aber etwas anderes gibt es: die charismatische Persönlichkeit eines Papstes, die so manche „Hoffnung“ auf ein Absterben der Kirche jn der Konsumgesellschaft, in Selbstgenügsamkeit oder in „postkonziliarer“ Nabelbeschau beziehungsweise in masochistischer Selbstgeise- lung (zum Thema des Jubiläumsjahres 1683/1983: „Die guten Türken und die bösen Christen“…) hinwegzuwischen droht.

Deshalb erscheint Grobauers Buch zu einem richtigen Zeitpunkt. Warum aber der Autor seine höchst instruktiven Zitate mit keiner einzigen Quellenangabe versieht und darauf verzichtet, sein Opus zu einem wahren „Steinbruch“ für Zeithistoriker zu machen, ist wohl das Merkwürdigste an seinem verdienstvollen Buch, das tatsächlich merkwürdig im besten Sinn des Wortes ist.

KIRCHE, KETZER, KLERIKALE (Österreichs Katholiken zwischen Freimaurem und Neuheiden) von Franz Josef Grobauer, Wien 1983, Selbstverlag, 359 Seiten.

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