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Kirche soll sich äußern

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Knapp vor dem Katholikentag führte Kathpress ein Gespräch, aus dem wir nebenstehend zitieren. Der Gedankengang hat nichts an Aktualität verloren: Nun sollte entschieden werden.

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Knapp vor dem Katholikentag führte Kathpress ein Gespräch, aus dem wir nebenstehend zitieren. Der Gedankengang hat nichts an Aktualität verloren: Nun sollte entschieden werden.

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Der Kirche von Österreich, den österreichischen Katholiken, wird oft vorgeworfen, sich aus der Politik, aus der Gestaltung des öffentlichen Lebens, verabschiedet zu haben.

HANNS SASSMANN: Eine strikte parteipolitische Bindung der Kirche gehört endgültig der Vergangenheit an, und so können Christen in politischen Fragen zu verschiedenen Standpunkten, verschiedenem Engagement und verschiedenen Konsequenzen kommen. Diese Freiheit ist allerdings für die österreichischen Katholiken sicherlich noch nicht bewältigt. So mag es scheinen, daß sich Österreichs Katholiken aus der Gestaltung des öffentlichen Lebens verabschiedet haben.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es ja Überzeugung der Kirche, daß Katholiken in rein politischen Fragen bei gleicher Sorgfalt der Gewissensentscheidung zu unterschiedlichen praktischen, d. h. auch parteipolitischen Optionen gelangen können. Demnach scheint ein Auftreten der Katholiken als „acies ordinata“ heute nicht mehr möglich zu sein. Sehen Sie für die österreichischen Katholiken der achtziger Jahre einen Ausweg aus diesem Dilemma?

SASSMANN: Die Bezeichnung „acies ordinata“ muß störend wirken — sie sollte auf der Suche nach einem Mehr an christlicher Substanz für die Gestaltung der Welt nicht mehr verwendet werden. Eine befohlene „Einmütigkeit“ löst die Probleme nicht. Wohl aber muß ernstlich die Frage gestellt werden, wo und wodurch der Pluralismus Reichtum des Geistes bedeutet und wo er zum Dilemma wird oder längst geworden ist. Unter Österreichs Katholiken fehlt das Bewußtsein, daß alle Meinungsgruppen in der Kirche, die progressiven und die konservativen, um es vereinfacht auszudrücken, zur Erneuerung von Kirche und Welt berufen sind.

Das sicherlich manchmal ungewollte Mitspielen von Katholiken mit ideologischen Gesellschafts- veränderern muß zu einer weiteren tiefen innerkirchlichen Fraktionierung führen. Der Ausweg aus dem Dilemma müßte mit dem Katholikentag 1983 beginnen und die. eine und gemeinsame Kirche auch im Ringen um die gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten erlebbar und wirksam machen. Dies könnte etwa dadurch praktikabel werden, daß man eine Versammlung aller Meinungsgruppen, wie sie der Salzburger Delegiertentag darstellte, regelmäßig (etwa jährlich) einberuft und jeweils gründlich vorbereitet.

Wo sehen Sie in der heutigen politischen Landschaft Österreichs konkrete Chancen für ein stärkeres Engagement der gläubigen Katholiken? Wo können sie einer weitgehend von Pessimismus,Resignation und Weiterwursteln geprägten Gesellschaft echte Hoffnung vermitteln?

SASSMANN: Die größten

Chancen sehe ich in der Verinnerlichung, der Vertiefung, der Be- wußtmachung der „substantia Christiana“ unter Österreichs Katholiken. Die gemeinsame Freude an der Kirche und die Zuversicht der Gläubigen in der Kirche müßte wieder den modernistischen Kritizismus überdecken, ohne die liebende und kompetente Kritik zu verdrängen. Es müßte wiederum in den Auseinandersetzungen eine Sprache gefunden werden, die sachgemäß und christlich ist. Man müßte aufhören, die um diese „substantia Christiana“ Besorgten als Integralisten oder Ewiggestrige zu etikettieren.

Manche Kritiker meinen, die Katholiken versuchten immer wieder auf den Zug des Zeitgeistes aufzuspringen und dann auch jede Irrfahrt mitzumachen. Sehen Sie solche Gefahren des Trittbrettfahrens auf dem Zug des Zeitgeistes auch heute konkret bei den österreichischen Katholiken?

SASSMANN: Es ist ein geschichtliches Gesetz, daß in jedem Zeitgeist Wertvolles und eben auch der Ungeist einer Epoche zu finden sind. Wir brauchen als Kirche ein neues kreativeres und souveräneres Verhalten, das den positiven Widerspruch (angstfrei um die eigene Modernität) ebenso kennt wie eine offene Aufnahmebereitschaft. Als Kirche stehen wir viel zuwenig unterscheidend und zu sehr kulturrelativistisch unserer Welt von heute gegenüber. Die Menschen von heute allerdings befinden sich — viel mehr, als es die sogenannte öffentliche Meinung wahrhaben will — in kritischer, oft sprachloser Distanz zu den Turbulenzen und Armseligkeiten des Zeitgeistes. Sie setzen still, aber intuitiv ihre Hoffnungen auf eine Kirche, die sich wiederum stärker als ein Ort und ein Hort über die Zeiten hinweg darstellen müßte.

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