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Kraus, Werf el wahlverwandt?

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Paul Stöcklein, Literaturhistoriker und Professor an der Frankfurter Universität, Autor einer vorzüglichen Eichendorff-Monographie und anderer gelehrter Schriften, ist ungefähr das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Gelehrten vorstellt. Darauf deutet schon der Titel seiner jüngsten Buchpublikation: „Literatur als Vergnügen und Erkenntnis.“

Denn wo in aller Professorenwelt wäre Gelehrsamkeit je auf den Einfall gekommen, ihre Erkenntnisse unter dem Blickpunkt des Vergnügens zu präsentieren? Die einzige Spur akademischen Wohlverhaltens, die man dem runden Dutzend der hier gesammelten Essays nachweisen könnte, ist die Inhaltseinteilung in „I. Methode, II. Anmerkungen,III. Postscripta practica“. Aber es v/äre gut denkbar, daß selbst diese eine Spur nur das Palimpsest einer andern ist, eine Selbstironie, gerichtet gegen die pedantische Trockenheit solcher Einteilungen — also ihrerseits schon ein Teil des Vergnügens, das dem Leser versprochen und in reichem Maß zuteil wird.

Stöcklein, wiewohl seinem ganzen geistigen Zuschnitt und Habitus nach ein durchaus .klassischer“ Wissenschaftler, ist weit entfernt vom Hochmut der etablierten Germanisten, denen Literatur als etwas nur für sie Entstandenes und Vorhandenes gilt, nur als Material für ihre selbstgefälligen Interpretationen. Genau betrachtet, sind eigentlich sie die Urheber des extremen Pendelausschlags zu jenen „Rahmenrichtlinien“ hin, die von jeglicher Dichtung nun wiederum nur die Spiegelung zeitgeschichtlicher Abläufe und gesellschaftlicher Relevanz zur Kenntnis nehmen möchten. Die Anhänger dieser Richtlinien werden an Stöckleins Überlegungen kein Vergnügen haben. Sollen sie auch nicht.

Es sind Überlegungen von wohltätiger Klarheit und Schlüssigkeit, so einleuchtend, so verständlich und so „leicht lesbar“, daß sie durch eben diesen Verzicht auf Pseudo-Tiefe, auf Schwulst und Schwere sich fast schon dem Vorwurf der Primitivität bloßlegen. Was sie vor solch schnöder Eventualität rettet, ist das ungeheure, wahrhaft profunde Bildungsmaterial, das sie verarbeiten und vermitteln — und das nirgends zur Bildungsprotzerei entartet.

Die Zitate, die Stöcklein immer wieder aufs reichlichste heranzieht, dienen keiner Bequemlichkeit und keinem Weihrauch angelesener Kennerschaft. Sie sind organische Stufen eines vor den Augen des Lesers sich aufbauenden Beweises. Ihr Bogen reicht von Kleist und Hölderlin, von einer vermeintlich schon atisgeweideten Klassik, von „Wie beginnt und endet Goethes Faust?“ und der „Freien Porträtkunst Eckermanns“ bis zu einem „Dankblatt für Golo Mann“ und einem Essay „Zu Ehren Dietrich von Hildebrands“.

Wer jedoch annähme, daß Stöcklein sich ausschließlich auf gesichertem, risikofreiem Literaturgrund bewegt, wäre im Irrtum. Wenn etwa auf Hofmannsthal oder Kafka, auf Schnitzler oder Polgar die Rede kommt, verficht er Thesen und Wertungen, die manchem als kühn oder gar provokant erscheinen mögen; und schlechterdings als tollkühn, wenn er zwischen Antipoden wie Karl Kraus und Franz Werfel bisher unbeachtete, vom allzu nahen Meinungsstreit der Zeitgenossen überlagerte Verbindungen aufdeckt.

Dazu wäre — zumal von einem, der sich dem Werk der beiden auch aus persönlicher Nähe verbunden weiß — einiges mehr zu sagen, als Raum und Anlaß Wer gestatten.

Genug daran, daß Stöckleins Vorbehalte gegen Werfel samt und sonders zu Recht bestehen, ohne daß sie ihm den Blick auf Werfeis Qualitäten verstellen.

„Vielleicht weil er so österreichisch oder weil er so historischmehrschichtig war, konnte Werfel, unwahrscheinlicherweise, beides zugleich sein: genial und geschickt.“ Es braucht Mut und Standfestigkeit, um einer von der heutigen Literaturkritik so überheblich ausrangierten Erscheinung wie Werfel den Platz anzuweisen, der ihr gebührt.

Wie man sieht, wimmelt es in Stöckleins Buch von Anstößen und Anregungen verschiedenster und — es kann nicht nachdrücklich genug betont werden — vergnüglichster Art. Wo das Vergnügen seinen Höhepunkt erreicht, nämlich in dem scharfsinnigen Abschluß-Essay über „Spracherfahrunigen und Machterfahrungen“ — betitelt mit einem Wort von Karl Kraus: „An ihrer Sprache werdet ihr sie erkennen“ —, dort wird das Vergnügen allerdings so zweischneidig, daß einem das Schmunzeln auf den Lippen erstarrt.

Was Stöcklein hier an „Schleichbeeinflussung“ durch die Stilmechanismen der Neuen Linken entlarvt, an unterschwelligem Gewalt-Appell, an Agitation mit den Mitteln raffiniertester Reklamewerbe-Technik, das ist nun in der Tat beängstigend. Hans Magnus Enzensberger hat einmal ähnliches unternommen, auf höchst talentierte Weise und von der andern Seite her. Es ist ein Segen, daß es mit mindestens gleichem Talent von dieser Seite her unternommen wird. Allein um dieses Essays willen würde die Lektüre des Büchleins lohnen. Aber es ist wahrhaftig nicht der einzige Lohn, der dem Leser winkt.

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