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GRIFF ZUM ANTIBESTSELLER

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Daß die „moderne, extrem-aggressive Literatur“ keine große Popularität erlangen kann, muß man ihrer grundlegenden Eigenschaft als „Provokationsprosa“ zuschreiben. Wenn sich trotzdem Leser finden, die diese stille Sparte interessant und anregend finden, so handelt es sich hier meist selbst um „Außenseiter oder Einzelgänger“, die mit den wortführenden Autoren ideell konform gehen. Da jedoch sogenannte „Outsider“ innerhalb unserer wohlorganisierten Massengesellschaft äußerst selten sind, hat auch die diese soziale Stellung vertretende Literatur kaum jemals Chancen auf literarischen wie auf finanziellen Erfolg. Prosaisten, Lyriker und Dramatiker, die sich dem undankbaren Genre „Outsider“- Literatur verschrieben haben, wissen das alles nur zu gut. Aber die meisten von ihnen wählten diese schwierige Form der Kommunikation nicht, um kommerzielle Erfolge für sich buchen zu können, sondern vielmehr darum, um aus echtem innerem Bedürfnis an „wesentlichen Problemen unserer Zivilisation, Politik, Kultur, Lebensform und Tabus“ zu rütteln.

Was will diese Art von Literatur, was wollen ihre Autoren? Wenn die Kritik sich mit der Thematik und Stilistik solcher Werke beschäftigt, spricht sie meist von ungesundem Pessimismus, negativen Tendenzen, Misanthropie und Kassandrarufen. Zu klären, was von diesen Vorwürfen berechtigt ist und was nicht, kann nicht Aufgabe dieser Zeilen sein. Zweifellos haben Autoren von „Outsider“-Literatur eine zähe Abneigung gegen Schönfärberei und übertriebenen Optimismus, beides Eigenschaften des heutzutage so oft praktizierten und banal-unverbindlichen „Boulevardzeitungsstils“, der viel dazu beigetragen hat, die Lesermassen zu oberflächlicher, sensationell präsentierter Lektüre hinzuführen.

Die Außenseiter zeitgenössischer Literatur bezwecken mit Ihrer kritischen Feder vor allem Opposition, nicht aber aus purer Freude aggressiven Lärmens um jeden Preis, sondern um wadizurufen, zu warnen, anzukreiden, heiße Eisen ohne Vorurteil zu behandeln und konsequenzlos in anrüchige Regionen unseres technokratisch-dekadenten Lebensbereiches einzudringen. Man ist auf der Suche nach der ungeschminkten, niedergeknüppelten Wahrheit. Man verabscheut Tändelei, Mittelmäßigkeit und Trägheit der Massen. Sarkasmus ist ein wesentlicher Bestandteil in der Stilistik, man glossiert und greift letzten Endes selbst zur Waffe des beißenden Zynismus, um gegen Muckertum, überholte Konventionen, geistige Verflachung breitester Schichten und schließlich auch gegen die „Bestie im Menschen“, laut Zola, anzurennen.

Hier also erklärt sich auch die völlige Unpopularität der „Outsider“-Literatur. Die Lesermasse hat es nicht gern, wenn man Mängel und bislang totgeschwiegene Auswüchse plötzlich in einem Roman oder einem Theaterstück proklamiert. Sie fühlt sich überrumpelt, durchschaut, gedemütigt, und all die aufgezeigten kritisierten Erscheinungen will sie sich auch nicht eingestehen. So stehen diese Autoren auf dem einsamen Sockel zwischen herzallerliebster Unterhaltungsliteratur und traditionellem Realismus, der noch nicht — wie sie eä tun — zu tief in die Wunden der Gesellschaft vor-

Grundlegend betrachtet ist es eigentlich eine Domäne des französischen und angelsächsischen Autors, und hier speziell der jungen Generation. In den letzten Jahren machten sich vereinzelt auch deutsche Schriftsteller auf diesem Gebiet einen Namen. Viele allerdings fristen noch ungehört vom Leserpublikum und unbeachtet von Verlagen ein kümmerliches literarisches „outsider“-D.asein. Hier wäre für aktive Lektoren die Chance gegeben, natürliche Talente und nicht künstlich publicity-reif gemachte „Starautoren“ heranzubilden.

Einer der Senioren und ganz großen „Outsider“ der Literatur überhaupt ist der Franzose Louis-Ferdinand Celine („Reise ans Ende der Nacht“, „Tod auf Kredit“). Sein spren-

gender Stil schwankt zwischen saftigem Argot und lyrischer Sprechprosa. Das Charakteristikum seines „Außenseitertums“ liegt darin begründet, daß er den Menschen schlechthin als ein „instinktiv schlechtes niedriges Wesen“ betrachtet, das seine Begierden und Triebe knapp unter dem fadenscheinigen Mäntelchen aufgezwungener Zivilisation beherbergt. Muten auch manche Passagen kraß negativ an, überrasoht doch seine Kühnheit und Meisterschaft im Gebrauch des Stils und der Sprache überhaupt. Auch Jean Gėnet („Der Balkon“, „Querelle ' was bat den Franzosen nt nennen, obzwar bei ihm mehr das thematische Element als das stilistische in den Vordergrund tritt.

Der Doyen der britischen „Zornigen-jungen-Männer“-Be- wegung, John Osborne, löste mit seinem „Blick zurück im Zorn“ eine äußerst fruchtbare literarische Strömung aus, die Leute wie Shelag Delaney („Bitterer Honig“), Harold Pinter („Der Hausmeister“), John Mortimer („Das Pflichtmandat“), Ted Willis („The young and the guilty“) und Jack Pulman („Ein Fingerhut voll Mut“) bekannt machte. Das Typische aller dieser Autoren ist ihre ungekünstelte Frische, mit der sie an ihre Themen herangehen, ihr Sinn für literarische Schlichtheit (der sich insbesondere in etlichen Dialogpassagen wohltuend alltäglich auswirkt) und ihr jugendlicher Idealismus, den man aus jeder Zeile zu spüren vermeint. Celines grausame Untergangsvisionen sind bei den jungen Engländern gemildert oder gänzlich verschwunden, ja hinter der tristen Slum-Atmosphäre und der grauen Fabriksmonotonie (Themen, die oftmals souverän behandelt wurden) steht eine zarte Hoffnung auf Besserung mit dem kollektiven und zuversichtlichen Eifer der Jugend. Henry Miller als wichtigen Vertreter der „Outsider“-Literatur zu nennen, käme Eulen nach Athen tragen gleich. Noch heute streiten sich Literaturhistoriker um die Tatsache, in welche Strömung oder Richtung man Miller einreihen könne. Schon darin offenbart es sich, welch komplexes und vielschichtiges „air“ Millers Werke umgeben. — Es erübrigt sich auch, Thomas Wolfe, Faulkner, Tennessee Williams, Nelson Algren, um nur einige wahllos zu nennen, extra anzuführen. Es handelt sich hier nicht um Schriftsteller, denen man eine ausschließliche Zugehörigkeit zur „outsider“-Literatur nachsagen kann. Selbstverständlich sind es in Amerika vorwiegend die Autoren der „Beat-Generation“, die sich um die Pflege dieser Art bemühen. Für näher Interessierte nur einige Namen von Autoren, die auch in deutscher Sprache erschienen sind: William S. Bourroughs (vielleicht die extremste Erscheinung der Bewegung), Kenneth Patchen, Kenneth Rexroth, Jack Kerouac, Lawrence Lipton und Norman Malier.

Deutsche Namen zu nennen, fällt leider schon schwerer. Ror Wolf, Günther Grass, Siegfried Lenz vielleicht, und noch ein paar andere. B. Traven zählt zweifellos zu den Klassikern der „outsider“-Literatur. An ihm schulten sich manche Sprecher der heutigen Generation. Bei den Lyrikern wäre etwa Jewgeni Jewtuschenko zu nennen, Coros, Hollerer, auch Charles Olson (erscheint jetzt in Deutsch!) und Ginsberg.

Daß sich die Lesergemeinde und Anhängerschaft dieser provokativen Form literarischer Kommunikation wesentlich vergrößern wird, ist kaum anzunehmen. Alles spricht dagegen. Die Leidenschaft, sich gänzlich den überlauten Massenmedien Fernsehen, Film und Presse zu widmen, nimmt überhand. Und wer sich noch dem guten Buch widmet, will anspruchslose Unterhaltung oder Nervenkitzel. Problematik und dem Rütteln an den Grundfesten traditioneller Uber-

lieferung geht man aus dem Weg. So liegt die Berufung jener Autoren nicht so sehr an der Einflußnahme auf ein breites Publikum als vielmehr am Bedürfnis, Unzufriedenheit und unpathetische Realistik kundzutun, ohne lange darüber nachzudenken, für wen man eigentlich schreibt. Die wenigen allerdings, die sich der „outsider“-Literatur verschrieben haben, wissen um ihre Bedeutung als Waffe gegen Dummheit und Sensationslust Bescheid.

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