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Kriegsschauplatz „Far West”

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Ein diffuses Konglomerat richtiger, halb- und unwahrer Informationen ist der größte Feind sachlicher Aufklärung. Bestes Beispiel: Was wir über „die Indianer” und deren Gegenspieler wissen - oder nicht wissen. Die Ausstellung „Far West”, die nun an der letzten Station ihrer Reise durch Europa, nämlich im Wiener Museum für Angewandte Kunst angelangt ist, wird manchem - wenn er der nicht gerade allzu häufigen Gabe teilhaftig ist, sehen zu können - neue Perspektiven eröffnen.

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Ein diffuses Konglomerat richtiger, halb- und unwahrer Informationen ist der größte Feind sachlicher Aufklärung. Bestes Beispiel: Was wir über „die Indianer” und deren Gegenspieler wissen - oder nicht wissen. Die Ausstellung „Far West”, die nun an der letzten Station ihrer Reise durch Europa, nämlich im Wiener Museum für Angewandte Kunst angelangt ist, wird manchem - wenn er der nicht gerade allzu häufigen Gabe teilhaftig ist, sehen zu können - neue Perspektiven eröffnen.

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Schon die indianischen Kulturen Nordamerikas, wie sie wirklich waren, werden dem Europäer nicht allzu häufig vorgestellt. Hier aber wird, erstmals zumindest in diesem Umfange, „Far West”, der „Wüde Westen”, als Einheit dargestellt - und gerade diese Einheit äußerst konträrer Elemente macht sichtbar, wie ungleich die bei der großen amerikanischen Landnahme aufeinanderprallenden Kulturen waren. Und zwar ungleich nicht nur im Sinne von Verschiedenheit, sondern durchaus im Sinne eines Gegensatzes zwischen einer hochentwik- kelten, hochdifferenzierten und einer wesentlich primitiveren Kultur. Wobei die primitivere Kultur die der einbrechenden Weißen, die hochstehende, zur Zerstörung verurteilte aber die unerhört vielfältige der indianischen Stämme und Völkerschaften war. Die Ausstellung „Far West” zeigt sehr deutlich, zu welchen Mißverständnissen es führen würde, das kulturelle Niveau Europas für seine Auswanderer nach Amerika, oder aber das kulturelle Niveau der bereits kolonisierten Ostküste für die nach Westen abgedrängten, in den Westen gelockten, vom Westen verführten Neusiedler zu reklamieren.

Gewiß, und Watergate als Synonym für die Selbstreinigungskraft einer offenbar im Kern doch nicht korrumpierten Demokratie erwies es wieder einmal: Amerika, das weiße, zehrt nicht zuletzt von der positiven Auslese einer freiheitsdurstigen, überzeugungstreuen und aktiven Einwandererschaft. Und auch das Heer der Ärmsten unter den Armen, der im 17. Jahrhundert von ihrem Landesvater verkauften hessischen Soldaten, der hundert Jahre später mit sonst nichts als einem Stock den Schiffen entstiegenen Überlebenden der irischen Hungerkatastrophe, war alles andere als eine negative Auslese, war Garantie für späteren Aufstieg - aber Kultur? Kultur belastete das Gepäck der Auswanderer nicht, und gerade die Besten unter ihnen verließen Europa geradezu mit einer inneren Frontstellung gegenüber dessen Kultur. Was unter anderem dazu führte, daß die ameri-kanische Malerei mit einem Verzögerungseffekt von ein- bis zweihundert Jahren einsetzt.

Die Gegenspieler der Indianer, die Zerstörer der indianischen Kultur, waren Menschen, die keinen Tau von dem hatten, was wir unter Kultur subsumieren, und Schönheit nur zu oft für einen unnötigen Aufputz des Lebens hielten. Sie waren unfähig, zu verstehen, was sie zerstörten, denn auch in Europa selbst war damals die Fähigkeit, die Kulturen von Naturvölkern zu verstehen, noch äußerst unterentwickelt.

„Far West”: Wenn irgendeine, muß man diese Ausstellung gesehen haben. Die aus den Beständen amerikanischer Museen zusammengestellte und um Exponate aus europäischen Sammlungen erweiterte Schau wird in Wien von einem fundierten Kenner der indianischen Tragödie, Christian Feest, betreut. Großartige Zeugnisse eines Jägervolkes mit außerordentlichem Schönheitssinn und großartigen handwerklichen Fähigkeiten und Traditionen - daneben grobes, klobiges Zeug der weißen Siedler, zweckmäßig, sonst nichts - nur da und dort etwas verziert, schüchterne Ansätze, den harten Alltag zu verschönern, neben Importprodukten von der Ostküste bestenfalls die Morgenröte einer Volkskunst.

Man versteht so manches, wenn man diese Ausstellung durchwandert - unter anderem den Stolz und das Überlegenheitsgefühl der Rothäute. Die nicht nur den Gewehren der Weißen zum Opfer fielen, sondern auch ihrem eigenen tradierten Glauben an geschlossene Verträge, an ein gegebenes Wort. Und natürlich - sie hatten nur ihren Kontinent, und keinen anderen hinter sich. Sie unterlagen. Aber die Kultur, die ihnen mit Schußwaffen, Feuerwasser und Arroganz entgegentrat, war ihnen nicht überlegen.

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