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„Man braucht: Privatinitiative“

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Der Unterrichtsminister plant, wie man neuerdings liest und hört, ein „Kulturservice“, insbesondere für die Schulen; er erläutert das so: „Na, zum Beispiel, in Imst in Tirol, wenn dort ein Künstler in einer Schulklasse über seine Arbeit sprechen, das heißt, aus seiner Werkstätte berichten würde — oder, nehmen wir an, ein fachkundiger Mann über die Bundestheater —, das wäre doch eine Art Kulturservice.“

Ei ja! Nur verschweigt der Minister, daß diese Idee nun durchaus nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen ist, sondern zuerst (oder mindestens auch) schon auf meinem. Hier die Beweise:

• Im Jänner 1973 hatte ich die Ehre, beim „österreichischen Kulturgespräch“ in Eisenstadt den literarischen Arbeitskreis leiten zu dürfen. In diesem Arbeitskreis haben wir einen Maßnahinen-katalog verfaßt, der einerseits über die bisher von Sinowatz vorgeschlagenen Aktivitäten hinausgeht und anderseits ohne jedweden bürokratischen Aufwand realisierbar wäre.

• Da aber weder der Minister noch seine Beamten irgendwie, und sei es auch nur durch Fragen an uns, reagierten, entwik-kelte ich eine vom Minister offenbar auch nicht geschätzte Privatinitiative. Meine Frau und ich legten dem Kulturamt der nieder-österreichisohen Landesregierung im Sommer 1973 ein konkretes Programm zur Errichtung und zum Betrieb eines kulturellen Zentrums im ländlichen Bereich vor, wobei wir an Horn im Waldviertel dachten, wo wir sogar schon ein dafür geeignetes Haus erkundet hatten. Von diesem Zentrum aus sollte die ganze, von der nächsten größeren Stadt doch sehr weit entfernte Gegend kulturell versorgt werden, und zwar wiederum mit dem Schwergewicht auf den Schulen.

• Parallel, beziehungsweise als Alternative dazu deponierten wir damals beim Landesrat für Kultur sowohl mündlich als auch

schriftlich das Angebot, eine Art Agentur zu gründen und zu betreiben zu dem Zweck, den Schulen zuerst in Niederösterreich, später vielleicht im gesamten Bundesgebiet künstlerisch und wissenschaftlich wertvolle Veranstaltungen zu vermitteln. In unseren bis ins Detail gehenden Vorschlägen sprachen wir nicht von Lesungen und Vorträgen hergebrachter Art, sondern von lebendigen Begegnung mit Meistern ihres Faches, die willens und fähig sind, die Problematik ihres Berufes niveauvoll und dennoch gemeinverständlich darzulegen und durch Beispiele zu illustrieren. Die Spanne sollte reichen von Literatur bis zum Ohanson, von Theater bis zu Film und TV, von Malerei und Plastik bis zu Verlagswesen und Journalistik.

Zur Bewältigung der hier wie dort erwachsenden organisatorischen Aufgaben wäre natürlich die feste Anstellung einer geeigneten Person erforderlich gewesen, wofür meine Frau sich angetragen hat, während ich selber bereit war, die Programmgestaltung und ähnliches ehrenamtlich, nur gegen Spesenersatz, zu machen. Beide Vorschläge wurden ad acta gelegt mit der Begründung, daß der Schaffung eines neuen Dienstpostens unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstünden. Für sein bürokratisches „Kunstservice“ wird der Unterrichtsminister aber Dutzende und Aberdutzende neuer Dienstposten schaffen müssen — und mir graust schon bei dem Gedanken daran, wer diese Posten besetzen wird: progressive Schnösel aus dem Dunstkreis des vom Minister ausgehaltenen „Neuen Forum“?

Schließlich probierte ich's im Alleingang und hielt mein erstes Werkstattgespräch vor Schülern in Tamsweg, im März 1974 ist das gewesen, wobei meine Intensio-nen mit denen der Lungauer Kulturvereinigung sich glücklich deckten. (Uber die unkonventionellen Aktivitäten der LKV haben meine Frau und ich inzwischen schon mehrmals, auch in diesem

Blatte, berichtet.) Es folgte ein Werkstattgespräch an der Bundeserziehungsanstalt für Mädchen zu Wien (BEA III), jüngst eines in Murau in der Steiermark.

Was man braucht, das ist nicht ein „Kulturservice“, sondern eine Anzahl von Künstlern, die nicht, wie die Handkes und Bernhardts, sich elitär gebärden, sondern dorthin gehen, wo ein potentielles Publikum darauf wartet, aus seinem kulturellen Dornröschenschlaf wachgeküßt zu werden. Was man braucht, sind Persönlichkeiten; was man braucht, ist Privatinitiative; am besten also: Persönlichkeiten mit Privatinitiative. Ich zähle mich — denn berechtigtes Eigenlob stinkt nicht — dazu.

Warum aber, da ich seit Jahren öffentlich und bei zuständigen Ämtern die kulturelle Betreuung der Landbevölkerung und insbesondere der ländlichen Schuljugend urgiere und da ich selber seit Jahren Beispiele setze — für Honorare, übrigens, für die ein Metall- oder Bauarbeiter nicht einmal mit der Wimper zucken würde —, warum also werden jetzt, da von „Kulturservice“ die Rede ist, meine diesbezüglichen theoretischen wie praktischen Aktivitäten glatt totgeschwiegen? Die Antwort ist ebenso einfach wie beschämend: Es darf, Gott behüte, nicht an eine breitere Öffentlichkeit dringen, daß just das, was die Regierung in ihrer Kulturpolitik nun als neuesten Fortschritt verkaufen will, schon seit Jahren von jemandem propagiert und privat praktiziert wird, der — um das „Neue Forum“ zu zitieren — ein „Wortführer der literarischen und politischen Reaktion“ ist; von jemandem, der sich tatsächlich nicht zu Karl Marx, sondern zu Edmund Burke bekennt. Und weil dann nur die Alternative bliebe, die eigne Kulturpolitik als reaktionär oder den Schriftsteller Herbert Eisenreich als — ich wag' es kaum auszusprechen — fortschrittlich zu etikettieren.

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