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Man hat lange Uber die Verhaltnisse geleb

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Es mag unglaublich klingen, ist aber wahr: Tag für Tag wird nun die schwedische Öffentlichkeit durch Situationsschilderungen darauf aufmerksam gemacht, daß der so vorbildlich scheinende Wohlfahrtsstaat drauf und dran ist, in die trostlosen wirtschaftlichen Zustände zu versinken, wie sie in Großbritannien und Italien herrschen. Die schwedischen Träume von einer für die ganze Welt beispielgebenden Volksgemeinschaft — wohin ist sie geraten?

Ein gewaltiges Defizit im Außenhandel, ein noch gewaltigeres in der Zahlungsbilanz, eine verschlechterte Konkurrenzfähigkeit, eine zusammenschmelzende Währungsreserve bei rekordhohen Kreditaufnahmen im Ausland, eine sinkende Arbeitsmoral und gleichzeitig neue hohe Forderungen der Arbeitnehmer aller Branchen und Einkommensschichten — das ist der düstere Hintergrund, vor dem sich die Lohnverhandlungen der nächsten Wochen und Monate abspielen werden.

Wohin man auch schaut: überall werden schwere Mißgriffe sichtbar. Vergleicht man die Entwicklung in Schweden mit jener in den sechs wichtigsten westlichen Industrieländern, dann lagen die Lohnkostensteigerungen in Schweden 1975 um 15,1 Prozent über den durchschnittlichen Lohnerhöhungen in den anderen Ländern dieser Gruppe und 1976 um 10,7 Prozent. Während 1974 Schweden seinen Anteil am internationalen Markt noch um 0,8 Prozent erhöhen konnte, verlor es 1975 8,8 \Prozent dieses Marktanteiles und 1976 (voraussichtlich) 10,7 Prozent.

Die Lohnkostenentwicklung ist zweifellos eine der Hauptschwierigkeiten in der schwedischen Schiffbau-Industrie, der Stahl-Industrie und der gesamten Textil-Industrie. In allen diesen Wirtschaftszweigen kommen natürlich noch andere, den Ertrag ungünstig beeinflussende Faktoren hinzu, doch die entscheidende Rolle der Lohnkosten für die Konkurrenzfähigkeit der Exportindustrie steht außer Zweifel.

Die schwedische Schiffbau-Industrie ist ohne Zweifel die leistungsfähigste in der westlichen Welt. Mit dem Sechstagekrieg zwischen Israel und Ägypten, der Suezkanalsperre und der Energiekrise bahnte sich jedoch eine Entwicklung an, die für die schwedischen Werften negative Folgen nach sich zog.

Eine große Werftengruppe nach der anderen mußte um Staatshilfe nachsuchen und bald darauf ganz oder teilweise vom Staat übernommen werden, um die gefährdeten Arbeitsplätze zu retten. Das erschien zu Beginn noch einleuchtend, wuchs sich aber im letzten Jahr zu einer untragbaren Belastung aus.

Um nichts geringer sind die Verluste in der Stahlindustrie. Der großangelegte Plan vom Bau eines staatlichen „Stahlwerks 80“ im hohen Norden mußte von der neuen Regierung vom Tisch gefegt werden. Aber auch das bereits bestehende Stahlwerk NJA in Lulea, das Jahr für Jahr Zuschüsse verlangt, ist in eine Situation geraten, aus der es nur durch einen Staatszuschuß von schätzungsweise zwei Milliarden sKr befreit werden könnte. Sogar die Staatsgruben LKAB weisen für die ersten acht Monate 1976 einen Verlust von 127 Millionen aus.

Unübersehbar sind auch die Verluste, die in der Energiewirtschaft entstehen werden. Die Kernkraftgegner in der Regierung werden alles tun, um die Inbetriebnahme des bereits fertiggestellten Kraftwerks Barseback und der unmittelbar vor der Fertigstellung stehenden Kraftwerke Forsmark I und Ringhals II zu verhindern. Damit wären dann Milliardenbeträge sinnlos vergeudet worden. Zur Zeit wird an fünf. Kernkraftwerken gearbeitet, die, geht es nach der Zentrumspartei, niemals in Betrieb genommen werden sollen. 12.000 bei diesen Projekten beschäftigte Arbeiter und Techniker müssen sich täglich fragen, welchen Sinn ihre Arbeit überhaupt noch hat und wie ihre Zukunft aussehen soll.

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