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Man trägt wieder Religion

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Die Anzeichen sind nicht zu übersehen: Man trägt wieder Religion. Es ist weder im Westen dem allgemeinen Wohlstand gelungen, sie überflüssig zu machen, noch im Osten der Zwangsorientierung auf die Parteiideologie, sieauszurotten. Im Gegenteil. Die Vision vom total machbaren irdischen Paradies beginnt' da und dort zu verblassen, und allenthalben brechen Sehnsüchte durch, die auch die perfekteste Bedürfnisbefriedigungsmaschinerie nicht zu stillen vermag.

Der Strom des neuerwachten religiös-geistigen Interesses ergießt sich allerdings nicht automatisch in die von den großen Glaubensgemeinschaften angebotenen traditionellen Kanäle, sondern bricht sich in zum Teil ziemlich bizarren Formen Bahn. Die christlichen Kirchen registrieren das mit Unbehagen und stellen Überlegungen an, wie sie ihre Attraktivität steigern könnten. Ein Aspekt wird dabei meines Erachtens vernachlässigt. Ich meine folgendes:

• Es ist davon auszugehen, daß die (unreflektierte) Einstellung breiter Bevölkerungskreise zum Wesen des Menschen noch heute von den ' Auswirkungen der

Denkweise der materiali-stisch-positivistischen Wissenschaften des vorigen Jahrhunderts geprägt wird. Diese Denkweise reduziert den Menschen auf seinen Körper und leugnet alles Geistige.

• Dennoch wird auch und gerade der moderne Mensch vor die Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach seinem Woher und Wohin gestellt. Vor allem das Problem des Todes macht ihm zu schaffen und irritiert ihn bis zur Neurose.

• Die Kirchen haben diese tiefe existentielle Unsicherheit zum Teil nicht ausreichend klar erkannt, zum Teil haben sie nicht konsequent genug darauf reagiert. Sie waren zu wenig selbstbewußt und kehrten ihre ureigensten Werte zu wenig hervor. Noch immer unter dem Eindruck der Religionskritik des 19. Jahrhunderts stehend, ließen sie sich zu sehr in die Richtung rein sozialen Engagements abdrängen. Dabei hätten sie sich niemals davon abhalten lassen dürfen, den Menschen immer wieder von dem Reich zu erzählen, das nicht von dieser Welt ist. • Dazu kommt, daß offenbar viele Menschen Schwierigkeiten haben, ein religiöses System zu akzeptieren, in dem wichtige Elemente sowohl geistig als auch rein zeitlich sich immer mehr entfernenden Wurzeln entspringen (über deren Bedeutung für die Jetztzeit obendrein zum Teil sogar Experten geteilter Meinung sind). • Um den Suchenden den Zugang zu erleichtern, sollten die Kirchen grundsätzliche Dinge von existentieller Relevanz besonders herausstreichen, etwas, das ich „basale Religion“ nennen möchte und das um folgende zentrale Aussagen kreisen müßte:

1. Das Leben ist größer als der Teil, den wir erkennen und erleben.

2. Der Tod stellt nicht sein Ende dar, sondern einen Neubeginn, eine Stufe in einer Entwicklung, die mit absoluter Sicherheit letzten Endes zum vollkommenen Glück jedes einzelnen führt.

3. Auf diesem Weg sind wir jederzeit gehalten von einem unendlich gütigen höchsten Wesen.

In diesen Fragen soll, wo es nur möglich ist, die Empirie zu Wort kommen (die gibt es nämlich auch hier, so wenig sich das auch noch herumgesprochen hat). So hat sich etwa im Rahmen der Para-psychologie eine eigene Jenseitswissenschaft (als Erfahrungswissenschaft!) etabliert. Die Kirchen sollten die Schützenhilfe, die sie von dieser Seite erhalten können, nicht unterschätzen.

Ich bin der festen Überzeugung, daß diese „basale Religiosität“ als echte Lebenshilfe willkommen sein müßte und vielen Fernstehenden auch den Zugang zum Christentum erleichtern würde. Denn erst wenn solcherart ein Fundament gelegt wurde, kann darauf mit spezifisch Christlichem aufgebaut werden. Erst wenn man sich über das Ziel klar ist, kann man sieh über den Weg Gedanken machen.

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