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Memorandum
Der einsame Mann in der Hofburg, wie er genannt wird, der österreichische Bundespräsident also, darf recht wenig. Schon von Rechts wegen sind seine Rechte recht eingeschränkt, aber faktisch und praktisch sieht es noch viel schlimmer aus: Was immer er auch tut - oder auch nicht -, irgendjemandem ist es sicher nicht recht. Und deshalb schielt er auch so neidvoll über die Grenze ins vergrößerte Deutschland.
Sein Amtskollege in Bonn und Berlin nämlich kann tun und lassen, was er will, stets applaudieren die Medien, und die Herzen der Massen fliegen ihm nur so zu. Wenn er sich zu einem Thema meldet, an dem andere gestandene Politiker kläglich scheitern, dann wird das, was er öffentlich geredet hat, flugs „Die Rede" genannt.
Allerdings, alles darf auch der aristokratische Richard im demokratischen Präsidentenamte nicht.
Er darf sich zum Beispiel nicht so ohne weiteres oder gar öffentlich mit seiner Meinung melden, wenn es um so periphere Dinge geht wie beispielsweise seinen künftigen Amtssitz. Und schon gar nicht darf er sich mit einem veritablen „Memorandum" melden, wie er es in diesen Vorfrühlingstagen getan hat. Zumindest verbieten ihm dies - natürlich nur aus formalen Gründen-die-jenigen, denen der Inhalt, den sie sich hinter die Ohren schreiben sollten, nicht paßt.
Was hat der bundesdeutsche Gesamtpräsident denn nun eigentlich gesagt, pardon, geschrieben? In sieben, römisch numerierten Abschnitten hat er den gesamtdeutschen Politikern ins Stammbuch geschrieben, daß sie sich gefälligst an den „ Einigungsvertrag" halten sollten, den sie ja mit breiter Mehrheit erst jüngst beschlossen hätten. Und darin stünde nun einmal, daß „Berlin die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland" sei. Und eine Hauptstadt eines Landes sei eben nur der Ort, an dem auch die verfassungsmäßigen „Häupter" ihren Sitz hätten. Daran könne auch der Umstand wenig ändern, daß viele Hochbürokraten und Höchstpolitiker, die einstens recht ungern das Bundesdorf nächst Köln bezogen haben, nunmehr ebenso ungern nach Berlin umzögen. Für Berlin spräche alles: die Lage, die Geschichte, das Land, die Bevölkerung, die Kultur. Wer bloß wegen der derzeitigen Kosten in Bonn bleiben möchte, der „rechne unnüchtern und handelt kurzsichtig".
Das tut schon heute der Ältestenrat des Bundestages nicht mehr. Er empfiehlt der Bundesregierung, möglichst viele der Grundstücke zu kaufen, diedurch das Schleifen der Berliner Mauer frei geworden sind.
Zu den „Unnüchternen" und „Kurzsichtigen" gehört freilich nach wie vor der Abgeordnete Franz Möller von der CDU. Er entgegnete dem Bundespräsidenten, daß in dieser Frage sein politischer Rat nicht gefragt sei. Möller freilich kommt aus Bonn.
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