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Nicht einmal Herztöne

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„Kultur, das unbekannte Wesen“, ist man nach der Lektüre des berühmt-berüchtigten Kulturberichtes versucht, zu sagen. Die von IFES im Auftrag des Ministeriums vorgelegte Materialsammlung enthält zwar eine Fülle interessanter Zahlen, gerät aber bei der Interpretation des Selbsterarbeitens in Schwierigkeiten.

Da wird dem Unterrichtsminister etwa von den Meinungsforschern vorgeschlagen, zwar „nationale Heiligtümer der Kunst unbedingt zu erhalten“ (wie nett, daß die Bundestheater nicht aufgelöst werden sollen), anderseits aber der mahnende Zeigefinger vorgehalten, „eine Subvention finanzkräftiger Sozialschichten über die Bundestheaterverwal-tunig“ sei „unvertretbar“. Fazit: „Die Eintrittspreise sollten so hoch kalkuliert sein, daß ein ausreichender Besuch noch gewährleistet wird.“ Unsere Theater — zu billig?

Selbst die Österreicher mit Matura, zu denen die breite Schicht der keineswegs überbezahlten B-Beamtenschaft gehört, und von denen 60 Prozent mindestens einmal in einem Jahr im Theater waren, widersprechen völlig den Schlüssen, die die Gesellschaftsnoluitdker des IFES aus den Erhebungen ihrer eigenen Interviewer zogen. Da einerseits 69 Prozent der Akademiker im Vorjahr im Theater waren, anderseits aber die Zahl der Nur-Maturanten die der Akademiker um ein beträchtliches übersteigen dürfte, sitzen offenbar an jedem beliebigen Abend sehr viel mehr Nkhbakademiker als Akademiker in Österreichs Theatern. Wobei sich der achtprozentige Anteil jener Absolventen berufsbildender mittlerer Schulen, die Sri diesem einen Jahr mehr als 10 mal im Theater waren, neben 12 Prozent ebenso intensiver Theaterbesucher mit Hochschulbildung doch durchaus sehen lassen kann.

Der Gegensatz zwischen Elitekultur und Massenkultur, den die IFES

Kommentatoren immer wieder zu konstruieren versuchen, löst sich vollends in Luft auf, wenn man die Dürftigkeit der registrierten Ansätze zu einer Massenkultur bedenkt. Volkskunst ist tot, proletarische Kultur bislang nur in Ausnahmefällen entstanden, also engt sich die Alternative darauf ein, das zu akzeptieren, was hier als Elitekultur abgewertet wird, oder auf Kultur überhaupt so lange zu verzichten, bis jene Klassen, denen die Gesellschaftstheoretiker das Recht zugestehen, eine Kultur hervorzubringen, dies auch getan haben. Wozu ihnen aber

— wie aus der Studie ebenfalls hervorgeht — das Fernsehen garantiert keine Zeit läßt.

Ein längst vermuteter Sachverhalt wird von den Interviewern bestätigt: Die angeblich theaterfeindlichen Schichten stehen dem „Theater an sich“ keineswegs so ablehnend gegenüber wie dem ernsten oder gar dem klassischen Theaer. Ein Lustspiel sehen sie sehr gern, wenn auch im Fernsehen. Sehr interessant, und bislang unbekannt die Tatsache, daß jene Schichten, die Theater, Oppr und Konzerte besuchen, eben diese Kunstformen im Fernsehen signifikant seltener konsumieren.

Die IFES-Untersuchung zum Thema „Grundlagenforschung im kulturellen Bereich“ registriert, was ihren Autoren gar nicht in den Kram zu passen scheint: Die Überwindung der Theaterkrise (und der Isolation manch anderer „elitärer“ Kunstform) durch das Fernsehen. Das Fernsehen popularisiert Theater, Oper, Konzert

— wobei aber jeder genau das konsumiert, was ihn interessiert, und ebendies ist bildungsabhängig.

Wenn die IFES-Studie ausdrücklich feststellt, daß Theaterübertragungen „für die Hälfte der Österreicher zu den beliebtesten Fernsehsendungen“ zählen, und hier,, Unterschiede zwischen den einzelnen Bü-dungsschichten keineswegs so gravierend“ sind wie beim Besuch eines Theaiters, kann der IFES-Vorschlag,

die Theaterpreise in die Höhe zu schrauben, nur als kulturpolitischer Wahnsinn gewertet werden. Denn wer auch nur die geringste Ahnung von der ökonomischen Situation

aller kontinentaleuropäischen Theater hat, weiß genau, daß eine derart massive Preiserhöhung, wie sie hier angepeilt wird, die Basis der Thea-terkultur genau in jenem Moment zerstören würde, in dem das Theater dank dem Fernsehen seinen Elitecharakter verliert.

Offenbar halten die Ideologen, die den Sachverhalten ihre gesellschaftspolitischen Zielsetzungen aufpfropften, sehr wenig von der alten Zielsetzung der sozialistischen Arbeiter-bikiung, die die Arbeiterklasse in den Besitz der bürgerlichen Kultur setzen wollte. Eine eigene Kultur muß es sein, auch wo sie nicht einmal allererste Herztöne von sich gibt. Womit sie sich in einen weiteren Zwiespalt mit jenen Schichten setzen, denen die SPÖ ihre Erfolge verdankt: einer aufstrebenden Mittelschicht, die nicht zerstören, sondern partizipieren will.

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