6834866-1975_08_12.jpg
Digital In Arbeit

Pest und Unsterblichkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Erzgewordene Unsterblichkeit ist das Reiterstandbild des Mark Aurel (Michelangelo hat einen Fuß — wel chen? — ergänzt) auf dem römischen Kapitol und es beglückt den Betrachter über den Abgrund der Zei ten hinweg nicht etwa nur als Kunstwerk, sondern auch als Sinnbild und Zeichen. Denn die Rechte des Kaisens befiehlt nicht, sie segnet. Eine gleiche Geste wiederholt sich, gewiß nicht ohne Absicht, an dem Reiterstandbild, das Kaiser Franz seinem Onkel Joseph II, errichtet hat und das der Trapezform des Wiener Josephsplatzes Mitte und Halt gibt Beide, Mark Aurel und Joseph II., waren Philosophen auf dem Thron und beide mußten sie scheitern, weil Philosophen, entgegen Platon, nicht Macht ausüben sollen, sondern jene beraten, von denen die Schalthebel der Macht bedient werden. Macht ist nicht böse, wie man unseren Zeitgenossen einzureden Versucht, sondern eine unvermeidbare menschliche Tatsache, und sie bedarf der zupackenden Hand sowohl, wie des sinnenden Geistes neben dieser, denn nur der Mißbrauch der Macht ist böse.

Alexander Glase schildert die letzten Tage des gescheiterten Marcus Aurelius in einer Art von Doppelconference. Die Gedanken des Geheimschreibers Peloplaton ergänzen im Spiegelbild die Reflexionen des Kaisers, der in Vindobona an der Pest stirbt. Hier sind nicht, nach einer nachgerade zur Manie gewordenen Manier, moderne Menschen, die amerikanisierten Slang sprechen, zwangsweise in antike Kleidung gesteckt worden; Giese, der Historiker, bringst es zuwege, antike Menschen antik denken, sprechen und handeln zu lassen.

Nach der Übersiedlung der kaiserlichen Hofes aus dem eleganten reichsrömischen Carnuntum in das ‘überwiegend von Eingeborenen bevölkerte, schrecklich provinzielle, aber geopolitisch wichtige und von Schicksalen trächtige Vindobona, ergibt sich ganz diskret, (ganz nebenbei, für den Wissenden erkennbar, aus den Beobachtungen des eher verdutzten Peloplaton, daß sich an diesem Punkt der Erde seither eigentlich nur wenig geändert hat. So etwa gilt das aufgeregte Getratsche, das auf dem Hohen Markt aus- bricht und das die Prätorianer fälschlich für einen gefährlichen Volksaufstand faalten -ledigUch dem Umstand, daß ein Pferd, das Pferd des Kaisers, und ein weißes (!) obendrein, sich „derstessen“ hat. Und es ist nahezu unvermeidlich, daß Peloplaton, der naive Intellektuelle, auf dem Weg vom Wienfluß zur Stadt an einen Stoß-, pardon; Würfelspieler gerät, der nach Abknöp-

fung vorhandenen Kleingelds zwar nicht verlangt, daß man ihn „Franz“ .und Freunderl nenne, wohl aber, daß man ihm noblerweise auch die Bordellspesen bezahle.

Unterdessen aber stirbt der Kaiser, der nur noch denkender Geist ist und bekennendes Gewissen. Er hat, wie später Joseph II., das Beste gewollt, auch sein Wissen war der Zeit voraus, und deshalb wird man seine Reformen zurücknehmen müssen. Mit ihm endet die Reihe der Adoptivkaiser, das goldene Zeitalter eines altrömischen Gaullismus, und was nach ihm kommt, ist so widerwärtig, so langweilig, daß Geschichtsprofessoren es zu überspringen pflegen. Gangster- und Mafiahäuptlinge, Gewichtsheber und Glücksritter beseitigen einander im Kampf um die absolute Macht. Ein paar Jahre lang herrscht ein aus dem Orient importierter Tempel-Dustknabe. Namen tun nichts mehr zur Sadie, bis das Reich wieder Form und Inhalt gewinnt und, ins Byzantinische verwandelt, ein weiteres Jahrtausend zu überdauern vermag.

Mark Aurel, ein Letzter, starb in Vindobona, diesem Provinznest, das Drehpunkt ist, Gelenk, und wider Willen Schaltstelle geschichtlicher Verhängnisse, denen es nicht 5sU Sitį rinnen vermag.

PS: Man sollte es nicht den Jüngeren unter den Benachrichtem gleichtun und „wäre“ mit „sei“, „hatte“ mit „hat“ verwechseln. Und „praktisch“ ist allemal nur das Gegenteil von „unpraktisch“. Aber der lei kosmetische Fehler werden zweifellos in der nächsten Auflage dieses,, grį tigcsn Budima, verschwurt!

WIE EIN FREMDER IM VATERLAND. MARK-AUREL-ROMAN. Von Alexander Giese. Paul-Zsolnay- Verlag, Wien-Hamburg, 1975. 327 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung