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Plädoyer für die Zu-kurz-Gekommenen
Die Entwicklung des österreichischen Journalismus bietet keinen Anlaß zu besonderer Sorge. Eher sollte man sich um die Gesellschaft Sorgen machen. Welchen Illusionen geben wir uns eigentlich hin? Warum sollten Politiker und Journalisten anders sein als die Welt, in der wir leben — die kleine österreichische Welt.
Sie ist ohne Sehnsucht, aber dafür voller Selbstbetrug. Unsere Verlogenheit verkleiden wir als Realismus. In der Fähigkeit, über ernste Dinge so zu reden, daß dabei sicher nichts herauskommt, sind wir grandios.
Das Gefährlichste für Politiker und Journalisten überhaupt besteht darin, die Dinge so auszusprechen, wie sie sind. Es wirkt, als hätte jemand einen unanständigen Witz erzählt. Das trifft aber nicht nur auf sogenannte Würdenträger zu, sondern beispielsweise auch auf Journalisten und auf den Großteil der Bevölkerung. Wir sprechen von Erfolgen, und es gibt sie nicht. Wir künden halbherzig Reformen an, die wir gar nicht machen wollen, nur um den Schein zu wahren.
Der Wirklichkeit ein Schnippchen schlagen, das läßt uns über alle Berge jagen. Wer als österreichischer Erfolgsmensch etwas auf sich hält, der nimmt nichts ernst, den regt nichts auf, der wird mit allem fertig.
Ein G'schichterl aus der jüngsten Zeit?! Die Abschiedsbriefe
des Jörg Mauthe an Helmut Zilk oder Gerd Bacher haben die meisten Zeitungen schweigend übergangen. Unter vorgehaltener Hand hat das Wiener Establishment lediglich beteuert, „er war ja doch schon sehr krank ...“ Dieses Verhalten scheint exemplarisch für die geistige Auseinandersetzung beziehungsweise deren Verweigerung zu sein.
Der Verweigerung steht die Übertreibung gegenüber. In jedem Fall stolzieren Politiker und Journalisten in trauter Kameraderie gemeinsam vor den Leuten auf und ab. Sind unsere Politiker nicht vielfach Vertreter von Berufsgruppen, deren Schicksal sie nicht teilen? Deren Probleme sie vielleicht am Beginn ihrer Karriere einmal kannten?
Politiker und Journalisten erschöpfen sich gleichermaßen in sterilem Aktionismus. Es geht dabei längst nicht mehr um die Sache selbst, sondern um den nackten Tätigkeitsnachweis. Soll für die fundamentalen Fragen unserer Gesellschaft tatsächlich kein Platz mehr vorhanden sein?
Wie geht eine Gesellschaft—unsere Gesellschaft — mit ihren Kranken und Schwachen, mit ihren Außenseitern um? Was denken wir uns über die Dauer der Untersuchungshaft in unserem Land, über das Polizeigefängnis und was dort so passiert, über Tausende, die in die Maschinerie der Psychiatrie geraten. Dafür gibt es keinen Trost und keine Hoffnung bei den derzeit vorherrschenden politischen Verhältnissen.
Der Autor ist Leiter der Redaktion „Volksanwalt“ im ORF.
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