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Pro und kontra Doderer

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Neun Veranstaltungen an fünf Tagen in der Osterreichischen Gesellschaft für Literatur - Germanistenvorlesungen, Erinnerungen von Freunden und eine Schlußdiskussion, alles in memoriam Heimito von Doderer. Anlaß: Im September wäre er 80 geworden, im Dezember jährt sich zum zehntenmal sein Todestag. Er hatte ein ähnliches Autorenschicksal wie der Wiener Lyriker Josef Weinheber. Nach langer Wartezeit^ und sogar noch später als dieser (nämlich mit 50 Jahren) wurde Doderer mit den Romanen „Die Strudelhofstiege“ und „Die Dämonen“ geradezu plötzlich zu einer mitteleuropäischen Berühmtheit. Aber er ruhte nicht auf seinen Lorbeeren aus und war am Beginn eines ganz neuen Weges der Romangestaltung, als er wenige Monate nach Vollendung des 70. Lebensjahres einem schweren Leiden erlag.

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Neun Veranstaltungen an fünf Tagen in der Osterreichischen Gesellschaft für Literatur - Germanistenvorlesungen, Erinnerungen von Freunden und eine Schlußdiskussion, alles in memoriam Heimito von Doderer. Anlaß: Im September wäre er 80 geworden, im Dezember jährt sich zum zehntenmal sein Todestag. Er hatte ein ähnliches Autorenschicksal wie der Wiener Lyriker Josef Weinheber. Nach langer Wartezeit^ und sogar noch später als dieser (nämlich mit 50 Jahren) wurde Doderer mit den Romanen „Die Strudelhofstiege“ und „Die Dämonen“ geradezu plötzlich zu einer mitteleuropäischen Berühmtheit. Aber er ruhte nicht auf seinen Lorbeeren aus und war am Beginn eines ganz neuen Weges der Romangestaltung, als er wenige Monate nach Vollendung des 70. Lebensjahres einem schweren Leiden erlag.

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Die Nachmittage waren den persönlichen Reminiszenzen vorbehalten. Hilde Spiel, Hans Flesch-Bruningen, Peter von Tramin, György Sebestyen, Herbert Eisenreich, Xaver Schaff-gotsch, Claudio Magris und Hans Wei-gel erzählten frei oder lasen präzis formuliert, was sie mit diesem skurrilen Autor erlebt hatten, dessen extremer Subjektivismus sich Freunden und besonders jungen Kollegen gegenüber extrem altruistisch äußern konnte.

Er war für das oberflächlichste Lob zugänglich, nicht aber für eine noch so geistreiche Kritik an seinem Werk; doch wenn ein Freund Geld brauchte, half er ohne weiters mit einem Riesenbetrag aus. Wie variantenreich auch der Rückblick dieser acht durchaus verschiedenartigen Charaktere war, es ergab sich kein Widerspruch zwischen ihren Perspektiven. Eigentlich passierte das auch an den Abenden nicht, wiewohl es bei den literaturkritischen Analysen zu einem Pro und Kontra kam. Es war aber beides berechtigt, je nachdem, was und wie unter die wissenschaftliche Lupe genommen wurde. Zunächst führte Wendelin Schmidt-Dengler (Wien) chronologisch vor, wie „Der junge Doderer zwischen Journalismus und Fachwissenschaft“ seinen Weg suchen mußte. Er war promovierter Historiker, kam bald zu der Auffassung, daß die Arbeit eines Gelehrten für ihn unvereinbar sei mit der des Schriftstellers und mußte sich viele Jahre hindurch notdürftig mit zahllosen Zeitungsbeiträgen über Wasser halten. Dietrich Weber (Wuppertal) ging auf „Doderers Ästhetik des Glücks“ ein: als gesicherter Dauerzustand mit Nachsicht beschrieben, aber als punktuelles Ereignis - gewagt und dem Unglück gefährlich benachbart - zu kühnem Balanceakt einer elitären Natur erhoben. Gegen die wurde am nächsten Abend gezielt: „Kritische Überlegungen zum Wirklichkeitsverständnis Doderers“ von Hans Joachin Schröder (Hamburg) attackierten die Geisteshaltung dieses Schriftstellers (seine souveräne Schreibhaltung blieb außer Streit) mit den heute gebräuchlichen Waffen des soziologischen Arsenals. Doderers Behauptung, Wirklichkeit sei „nichts anderes als ein gewisser Deckungsgrad zwischen innen und außen“, werde zum Dogma und mache ihn zum Gefangenen seiner vielgenannten, aber noch nicht kritisch untersuchten Theorie von der „ersten“ und „zweiten“ Wirklichkeit: je nachdem, ob ein Subjekt sich „ap-perzeptiv“ oder als „Apperzeptionsverweigerer“ verhalte. Es handle sich dabei gar nicht um Kategorien, eher um au>tauschbare Etiketten, die man je nach Stimmung (z. B. dem Faschismus, wie es in den Tagebüchern geschah) verleihen und wieder entziehen könne. Doderer simuliere die Möglichkeit einer wertfreien Erkenntnis des Künstlers und demonstriere in Wahrheit eine fatale „Ideologie der Ideologielosigkeit“.

Nach solchem Linksausschlag pendelte das Symposion wieder zur Mitte. Adolf Haslinger (Salzburg) behandelte endlich Heimito von Doderer „Auf dem Weg zum roman muet“: Der Autor „schweigt“, kommentiert nicht. Aus der Konstellation soll der Leser erkennen, was die Personen der Handlung selber nicht erkannten. Mit der Tetralogie „Roman Nr. 7“ wollte Doderer sein Lebenswerk krönen, doch nahm ihm der Tod schon während der Arbeit am zweiten Teil die Feder aus der Hand. Der literarische Sinn des Fragments ist nur für den Fachmann zu begreifen. Aber mit den zwei Erfolgsromanen ist Heimito von Doderer in die Literaturgeschichte eingegangen - wiewohl er sein Leben für „verpfuscht“ hielt.

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