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Frühwerk als Nachlaß

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Eine Tagebucheintragung Doderers vom 12. Xovember 1920 lautet; „Ich glaube, die vier Jahre in Rußland haben über mich entschieden. Ob jenes Resultat aus ihnen Giltigkeit behaupten wird — davon kann ich jetzt nichts wissen.“

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Eine Tagebucheintragung Doderers vom 12. Xovember 1920 lautet; „Ich glaube, die vier Jahre in Rußland haben über mich entschieden. Ob jenes Resultat aus ihnen Giltigkeit behaupten wird — davon kann ich jetzt nichts wissen.“

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1916 bis 1920 dauerte die Kriegsgefangenschaft in Sibirien (Krasno-jarsk). 1921 war Doderers erstes Werk vollendet. Er nannte es „Die Bresche — Ein Vorgang in 24 Stunden“. Drei Jahre später erschien das Buch bei Adold Haybach, den der Dichter im Lager kennengelernt hatte.

Die sieben Zeichnungen, mit denen es geschmückt ist, stammten von Erwin Lang, gleichfalls einem Lagergenossen. — Aber das sind Dinge des äußeren Lebens, gewiß wichtig, aber nicht von entscheidender Bedeutung. Entscheidend ist, daß hier, in diesem ersten Versuch, Figuren und Fragen auftauchen, die wir später in dem zentralen Werk „Die Dämonen“, zuletzt in dem unvollendet hinterlas-senen Romanfragment „Der Grenz -wald“, Teil 2 des Romans Nr. 7 wiederfinden. Charakteristisch — und das „Erzählerische“ im Werk Doderers akzentuierend — ist gleich der erste Satz dieses ersten Buches: „In dieser Erzählung treten vorzüglich drei Figuren auf, um den Leser zu unterhalten, so gut es ihnen gelingt: erstens die Magdalena Güllich (Güllich ist Nebensache; aber Magdalena, dieser sanfte Name paßt; ihr ergeht es auch am schlechtesten), ferner der junge Herr Herzka (der die ärgsten Bocksprünge macht), die dritte Figur aber ist ein berühmter Mann, nämlich kein Geringerer als S. A. Slo-bedeff, der russische Tondichter, der jungverstorbene, herrlichen Angedenkens, aim meisten wohl als Autor der .Abenteuerlichen Symphonie' bekannt ...“

Hier ist bereits die Ironie der Distanz zur Welt aller jener Gestalten, die der Magdalena Güllich später nachgebildet werden sollten; hier ist der merkwürdige Russe, der immer wieder auftaucht; und auch in späteren Erzählungen Doderers werden junge Männer vom Schlage Herzkas immer wieder die merkwürdigsten Bocksprünge machen. Auch die Themen Rußland, russische Revolution und das Gefangenenlager kehren im letzteil Buch Doderers wieder.

Auch stilistisch ist hier schon vieles, was für den reifen Doderer kennzeichnend wird, vorgebildet, obwohl sich expressionistischer Durebbruch, Aufbruch und Zusammenbruch später zu „Menschwerdungen“ und „Selbstfindungen“ besänftigen. Die expressionistischen Eierschalen der Sprache Werden später abgestreift. Stellen wie „Klangfarbe der Stunde entsprach baldige Zerstreuung der kleinen Gesellschaft...“ oder „Während noch Winter ist, wird Hinausbeugung eigenen Lebens aus dem Heim und weg von dem Boden, auf welchem sie (eins mit ihm) wuchs, ihr selbst stärker fühlbar“, sind später bei Doderer nicht mehr vorstellbar. Dies mag einer der Gründe gewesen sein, weshalb der Dichter einer späteren Herausgabe dieses seines ersten Buches (und der beiden folgenden) nicht mehr zugestimmt hat,

Es ist jetzt, zusammen mit dem Fragment „Jutta Bamberger“ aus den Jahren 1923 bis 1924, das bisher ungedruckt war, und dem Roman aus dem russischen Bürgerkrieg mit dem Titel „Das Geheimnis des Reichs“ (1930) von Hans Flesch-Brunnm-gen unter dem Titel „Frühe Prosa“ mit ausführlichen Anmerkungen und einem klugen Nachwort versehen, im Biederstein-Verlag, München, veröffentlicht worden. Der wöhlinstruierte Herausgeber hat das Werk Doderers als von allem Anfang an „idiosynkratisch“ bezeichnet und darauf hingewiesen, wie sich Leben und Werk wechselseitig durchdringen. Das „Faustische“ seiner Entwicklungsromane wird durch das Homerische, zuweilen auch das Hiatrionaische ergänzt und spezifisch österreichisch eingefärbt. Auf eine spezielle Manier Doderers sei am Rande aufmerksam gemacht. Er liebt es, in der Art mittelalterlicher Maler sich selbst „ins Bild“ zu bringen. (Man mag auch an „romantische Ironie“ denken, wie sie etwa Tieck und Friedrich Schlegel übten.) Hier hat er dem Fähnrich Stangeier seine eigenen Züge verliehen: den Kopf zwischen die Schultern gezogen, schaut er aus schief geschnittenen Augen abwesend-scharf in die Welt... Wir selbst haben an dieser Stelle (anläßlich seines 70. Geburtstages im Herbst 1966) als höchste Tugend Doderers — und des Epikers im allgemeinen — den Sinn für und das Streben nach Gerechtigkeit gepriesen. Hierzu eine Tagebucheintragung vom 5. August 1923: „Heute passiert es bei der Arbeit an Jutta Bamberger, daß ich in eine persönliche Einstellung verfiel (Sympathie-Antipathie). Ich mußte den ganzen hergestellten Text streichen:“ Dieses Streben nach Gerechtigkeit mögen auch zwei Fragmente aus „Das Geheimnis des Reichs“ über die russische Revolution bezeugen.

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