6583925-1951_34_05.jpg
Digital In Arbeit

Heimito von Doderer

Werbung
Werbung
Werbung

Wer heute einen Kulturredakteur oder Verlagslektor nach Doderer fragt, wird in vielen Fällen die Überraschung erleben, in ein völlig unwissendes Gesicht zu blicken. Weitesten Kreisen unserer Heimat ist dieser Autor unbekannt, der immerhin schon mit zwei größeren und zwei kleineren Romanen vor die Öffentlichkeit getreten ist: 1924 erschien „Die Bresche“, 1930 „Das Geheimnis des Reichs“ (ein Roman aus Sibirien), 1938 „Ein Mord, den jeder begeht“ und 1940 der Barockroman „Ein Umweg“ (unter dem Titel „Sursis“ tür Plön von Blaise Briod übertragen). Vorangegangen war bereits 1923 ein Gedichtband „Gassen und Landschaft“. Am besten aber wird Doderers eigenbewußtes Denken deutlich im Essayband „Der Fäll Gütersloh“ (Rudolf Haybach, Wien 1930) und seiner Ergänzung: sie ist „Von der Unschuld im Indirekten“ betitelt und erschienen in Nr. I (1947) des „Plan“ unter dem Decknamen Rene Stangeier. Welchem Herrn „von und zu Rene* wir noch als einer der Hauptgestalten der „Strudlhofstiege“ begegnen werden.

In Gütersloh sieht Doderer seinen verehrten Lehrer, sein Vorbild als Grammatiker und Sprachschöpfer. Er ergreift jede Gelegenheit, sich öffentlich zu ihm zu bekennen. Mit der Person des Barons Kirill Ostrog, der „sagenhaften Figur“ m Gütersloh gleichnamigen Roman (Luokmann-Verlag, Wien 1946), hat er sich in seiner impetuosen Art auseinandergesetzt („Plan“ Nr. 6, 1948).

Sprachlich leitet sich Doderer von Alexander von Villers her, der für ihn gültiger noch als Karl Kraus von der Sprache gehandelt habe. Diese komme in höchst indirekter Weise zustande, worunter er, grosso modo, das Un- und Unterbewußte, das nicht Zweckhafte, nicht rein Diskursive versteht. Was Doderer liegt, ist der Duktus des Deutsch vor Luther, vor 1400 genauer, das sich sein Gesetz im Augenblidc der Produktion selbst schafft. Das ist das Unlateinische in Doderer, dem begeisterten Lateiner. Vielleicht braucht er das Lateinische als Gegengewicht, als Zuchtmittel. So dichtet er auch in „römischer“ Sprache — und wir möchten etwa das hohe Gedicht „Ad arcum meum“ („An meinen Bogen“) nicht missen. Uber Bogenschießen, seine Lieblingskunst, kann er unerschöpflich und mit großer Leidenschaft sprechen.

überhaupt ist Doderer Rhetor, ein Rhapsode von hohen Graden und unübertrefflicher Vorleser seiner eigenen Werke. Das durften alle seine Freunde erleben, die am 6. Juli in die Sezession gekommen waren, um ihn dort nach einleitenden Worten Hans Weigels sprechen zu hören. Er las aus seinem neuen Roman „Die Strudlhofstiege“, einem gewaltigen Opus von 909 Seiten Umfang, soeben erschienen bei Biederstein in München, der literarischen Abteilung der C. H. Beckschen Verlagsbuchhandlung, die seit vierzehn iahren Doderers Werke betreut. Im geistigen Deutschland fand das Werk höchste Anerkennung und verschaffte seinem Schöpfer Ruhm. Ich will nur eine Stimme anführen, die Gerhard Nebels, des bedeutenden Essayisten und Ausdeuters Ernst Jüngers. Er schreibt: ,Die Strudelhofstiege' ist außerordentlich. So etwas von präzisen, tiefen Beschreibungen, von Wachheit, von Kunstverstand gibt es in Deutschland nicht mehr. Das ist Proust und Musil in einem. Ich habe, obwohl ich sonst kaum mehr Romane lesen kann, das Buch in einem Zug durchhastet und werde es noch einmal lesen.“ Weiterhin spricht er noch bewundernd von der „Genialität des Mannes“.

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Und so entstand neben der „Strudlhofstiege“, diesem ungeheuren Querschnitt durch die Zeit von 1911 bis 1925, der Bezüge nicht nur zu Prousts Romanwerk, sondern als Chronik auch zu Jules Romains „Hpmmes de Bonne Volonte“ aufweist, sozusagen zur Erholung die kleinere Erzählung „Die erleuchteten Fenster oder die Menschwerdung des Amtsrates Zihal“, der schon dem Major Melzer in der „Tiefe der Jahre“ (dies der Untertitel der „Strudlhofstiege“) viel zu schaffen machte.

Bedenkt man aber nun, daß selbst die „Strudlhofstiege“ nur ein Auftakt ist Mi dem Roman „Die Dämonen“ (bewußt nach Dostojewski] so benannt), eine „Rampe“ gleichsam zu einer überdimensionalen Architektur europäischer Geschichte in den Tagen, die dem Brand des Wiener Justizpalasts vorangingen — das Geschehen dreier Monate mit aller Madit auf 1400 Seiten zusammengepreßt —, dann ermißt man halbwegs, welohe Gestalt der österreichischen Dichtung in Doderer zugewachsen ist. Daneben bereitet er noch zwei grundlegende Versuche vor, den einen über die „Mechanik des Geistes“, den anderen zum Thema „Sexualität und totaler Staat“.

Dies konnte nur ein kurzer Überblick werden über das Schaffen eines Mannes, der als ein Naturphänomen, als ein Vulkan von äußerster Eruptionskraft durch die Straßen Wiens wandelt, als ein Grübler auch, der sich bei keinem Ergebnis beruhigt, als Denker alles wieder in Frage stellt und im Feuer seiner Arbeit umschmilzt, vor allem aber als Mensch von lebendigster Fülle, als liebenswerter, stets hilfsbereiter Freund seiner jüngeren Mitstreiter und als Christ von tiefer, unerschütterlicher Frömmigkeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung