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Austnae poeta austnacissimus

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Es bestehen Anhaltspunkte für die Vermutung, daß er nichts dagegen gehabt hätte, als österreichischester Dichter Österreichs bezeichnet zu werden, der Doctor Heimito von Doderer; und es bestehen nicht bloß Anhaltspunkte, sondern überhaupt keine Zweifel, daß ihm das nur unter der Voraussetzung eines richtig geschriebenen „Doctor“ willkommen gewesen wäre, mit c, nicht etwa „Doktor“. In dieser Hinsicht war er heikel, und in mancher andern —i orthographische, grammatikalische, interpunktioneile und sonstige Abweichungen vom Regulären betreffend — war er's nicht minder. Heikel bis zur Unerlbittlichkeit. Wer jemals aus ähnlichen Anlässen mit Metteuren und Oberfaktoren zu tun hatte und consequenter Weise zum Dudenhasser geworden ist, wird es dem Doctor Doderer nachfühlen und nachrühmen.

Er war der eigensinnigste und — ich möchte die C-Bereit-schaft der Setzerei nicht überfordern — kompromißloseste Autor, der mir begegnet ist. Er war zumal im Umgang mit der Sprache von einer Besessenheit wie keiner seit Karl Kraus (wenngleich sie bei ihm aus anderen Wurzeln entsprang und andere Funktionen hatte). Er arbeitete mit der strategischen Übersicht eines Dumas, mit dem Konstruktionsaufwand eines zum Bau der Hauptstadt des Universums herangezogenen Architekten und mit der Akribie eines Gerichtssachverständigen, von dessen Gutachten das Schicksal der Bewohner jener Hauptstadt anhinge. Um genau festzustellen, wie weit es in London von irgendwo irgendwohin sei, war er im Stande, nach London zu reisen und die betreffende Entfernung eigenfüßia abzuschreiten. Anschließend begab er sich vermutlich ins Bureau der Firma Hulesch & Quemzel, über deren segensreiche Tätigkeit man alle nötigen Informationen gefL bei ihm selbst einholen wolle. Ich bann hier nur soviel sagen, daß ich einmal auf einer sommerlichen Autoreise, als ein Bahnschranken nicht knapp vor mir niederging, mit mit den Worten: „Hulesch und Quemzel scheinen auf Urlaub zu sein!“ an meinen Mitfahrer wandte. Derselbe glotzte. Ich ließ ihn dabei.

Natürlich sind das nur Marginalien. Aber wie's halt so geht, und gerade bei einem Oeuvre von solchem Umfang, daß man sich vor dem Urheber schon um der imposanten Arbeitsleistung willen tief verneigen muß: was sich besonders einprägt und worauf die eigentliche Zuneigung beruht, sind die pneziösen Kleinigkeiten, die elaiborierten Nebendinge (wobei ich keineswegs sicher bin, ob Doderer selbst sie als nebensächlich gewertet wissen wollte). „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“ für literarische Spitzenwerke zu halten, ist keine Kunst Mir ist es lieber, „Die Merowinger“ zu lieben, weil Doderers Verwandtschaft mit meinem Liebslings-österreicher Herzmanovsky-Or-lando sich hier am deutlichsten bekundet; oder „Die Peinigung der Ledertoeutelchen“, weil er sich hier womöglich noch österreichischer gebärdet als sonst und sowieso, weil er hier mit satanischem Mutwillen auf seinem „herüber“ und ,^herinnen“ besteht, auf seinem „ohnedem“ und ..hintennach“, weil hier „maderate Unordnung“ herrscht und jemand „am Rücken“ liegt, nicht „auf dem Rücken“ etwa, vielmehr liegt er „am Rücken auf dem Teppich“, und das vergönn ich jedem, der etwas daran auszusetzen fände.

Daß mich mit Doderer überdies persönliche und lokale Gemeinsamkeiten verbinden; daß ich, als ein Kind des Aisergrundes, unterhalb der Strudlhofstiege —• die damals noch ganz anders und prachtvoll jugendstilistisch aussah — meine ersten Fußball-schuihe zerwetzte und in jenem Haus in der Währingerstraße, das nebst Doderern auch das Schubert-Kino beherbergte, den ersten heimlichen Stummfilmer-lebnissen oblag; daß Doderer einer der ersten war, die mich nach meiner Rückkehr aus der Emigration mit ihr “ Freundschaft bedachten; daß er sie ungeachtet unsres Altersunterschieds alsbald zur Duzfreundschaft gedeihen ließ und daß ich von ihm ein paar wunderschöne, mit bunten Mönchs-Initialen anhebende Briefe bekommen habe (meistens im Zusammenhang mit den Beiträgen, die er mir fürs „Forum“ zur Verfügung stellte) —: dies alles nur nebenbei, wirklich, nebenbei, nicht so wie Hulesch & Quenzel.

Aus der schlechterdings rabiaten Hervorkehrung seines österreichertuma ergab sich die unausbleibliche Folge, daß er bei uns erst berühmt wurde, als er's in Deutschland schon war. Er hat sich über beides gefreut, hat seinen späten, schon ein wenig von Altersreife überglänzten Ruhm genossen und geschlürft wie ein alter Zecher (der er ja war), hat von seiner Bedeutung immer gewußt und nie gesprochen. Seit es ihn nicht mehr gibt, haben wir alle, die wir da weiterschreiben, auf eine höchst seltsame Art etwas von unseren spezifischem Gewicht eingebüßt Es ist, als wäre einer nach wie vor dahinrallen-den Garnitur von Waggons die Lokomotive abhanden gekommen.

Immerhin können wir uns darauf berufen, daß Heimito von Doderer unsre Lokomotive war. Und wenn wir Glück haben, können wir's sogar beweisen.

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