luftballon

Knutsch den Spiegel

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Unsere Kolumnistin lebt mit sich in einer wilden Zwangsehe. Diese Erkenntnis hat sie seit dem vergangenen Wochenende - uns sie gibt ihr zu denken. Über Trends, Traditionen und Treuzeugen, die seit Jahren gegen das Paardiktat anschwören.

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Unsere Kolumnistin lebt mit sich in einer wilden Zwangsehe. Diese Erkenntnis hat sie seit dem vergangenen Wochenende - uns sie gibt ihr zu denken. Über Trends, Traditionen und Treuzeugen, die seit Jahren gegen das Paardiktat anschwören.

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Letztens klärte mich die neunjährige Tochter meiner Freundin über den neuesten Trend auf: Auf dem News-Display der Wiener Linien habe sie gelesen, dass es „mega in“ sei, sich selbst zu heiraten.

Noch beim Bezahlen – das Gespräch hatte in einem Beisl im Wurstelprater stattgefunden – diskutierte ich mit meiner Freundin intensiv über diese neue Form von Hochzeit. Der Kellner mischte sich ein, erklärte, wir säßen einem Irrtum auf. „Single-Weddings“, wie er es kundig nannte, hätten sie im Lokal bereits seit Jahren regelmäßig. „Neu sind die nicht.“

Später auf dem Spielplatz überprüften wir diese Information via Google. Tatsächlich. Seit Mitte der 2000er Jahre sagen Alleinstehende regelmäßig Ja zu sich selbst. Der Hochzeitskuss findet via Spiegel statt. Auf der Hochzeitsfeier steht statt eines Brautpaares nur eine Braut oder ein Bräutigam im Mittelpunkt. Es gibt Trauzeugen, Hochzeitstorten, Fotografen und natürlich jede Menge aufgehübschter Gäste.

Der Trend wurde zur Tradition. Das Motiv liegt auf der Hand: Es gilt, der Welt mitzuteilen, dass man sich selbst genug ist, sich dem Paardiktat nicht fügen will.

Ich mag ja Menschen, die verstanden haben, dass das Leben mehr zu bieten hat als das ständige Suchen und Finden von Mr. oder Mrs. Right. Aber warum braucht es für diese Erkenntnis eine Inszenierung? Andererseits scheinen viele Paare, die erkannt haben, dass sie zusammenbleiben wollen, auch eine Inszenierung zu brauchen.

Würde ich mich selbst heiraten wollen? Ich fürchte, ich wäre mir zu anstrengend. Falsch. Ich bin mir zu anstrengend. Schließlich habe ich mich ständig am Hals. Ich lebe mit mir selbst in einer wilden Ehe. In einer wilden Zwangsehe genau genommen. Eine Trennung von „Mrs. Me“ ist ausgeschlossen. Was ich auch nicht wollen würde. Dafür hänge ich zu sehr an mir.

Freilich muss man zusehen, dass man mit sich im Reinen ist, sich das Leben so einrichtet, dass man zurechtkommt. Und wer die eigenen Bedürfnisse ignoriert, tut sich auch keinen Gefallen. Ich fürchte, diese Selbstliebe kann man sich nicht erheiraten, eher erarbeiten.

Zum Knutschen finden sich dann ganz von selbst Alternativen zum Spiegelbild. Nein sagen kann man immer noch. Zu wem oder was auch immer.

Lesen Sie auch die Quint-Essenz "Was Hahn umtreibt" oder "Politische Biologie".

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