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Schuldennachlaß füllt noch keine leeren Regale

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Die westlichen Industriestaaten haben - wenn schon nicht aus moralischen Erwägungen, so doch aus bloßem Eigeninteresse - gute Gründe, den Reformprozeß in Osteuropa zu unterstützen. Das gilt weitgehend als unbestritten. Weit geringere Einmütigkeit herrscht hingegen hinsichtlich des „wie" und „wann" möglicher Unterstützungen. Besonders umstritten sind Schuldennachlässe.

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Die westlichen Industriestaaten haben - wenn schon nicht aus moralischen Erwägungen, so doch aus bloßem Eigeninteresse - gute Gründe, den Reformprozeß in Osteuropa zu unterstützen. Das gilt weitgehend als unbestritten. Weit geringere Einmütigkeit herrscht hingegen hinsichtlich des „wie" und „wann" möglicher Unterstützungen. Besonders umstritten sind Schuldennachlässe.

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Die Staaten Osteuropas inklusive Sowjetunion sind derzeit mit rund 150 Milliarden US-Dollar bei westlichen Gläubigem - im wesentlichen Banken und öffentliche Stellen-verschuldet. Der Schuldendienst belastet ihre niedrigen und zum Teil sinkenden Volkseinkommen erheblich und verschärft die im Zuge des Umstellungsprozesses ohnehin erforderliche Restriktionspolitik. Es ist daher klar, daß Überlegungen zur Gewährung von Schuldennachlässen im Rahmen von Hilfsmaßnahmen für Osteuropa breiter Raum gewidmet wird.

Befürworter von Schuldennachlässen argumentieren, daß durch die erweiterten Spielräume der jeweiligen nationalen Wirtschaftspolitik erstens die gesellschaftliche Akzeptanz der Reformpolitik und damit auch die soziale Stabilität in Osteuropa gefestigt werden könnte. Zweitens würden durch verbesserte Investitionsanreize die langfristigen Wachstumspotentiale gesteigert. Die Situation der Oststaaten sei vergleichbar mit einer Familie, die heillos überschuldet bereits auf das Existenzminimum gepfändet ist und keinerlei Motivation für größere Leistungsanstrengungen aufzubringen vermag, solange jeder Einkommenzuwachs an die Gläubiger fließt. Durch eine Reduktion der Verschuldung auf ein realistisches Maß, das auch dem Schuldner die Perspektive eröffnet, einen Teil seiner künftigen Einkommenszuwächse für sich lukrieren zu können, ändert sich die Anreizstruktur fundamental. Es wäre sogar vorstellbar, daß davon nicht nur die Schuldner, sondern auch die Gläubiger profitieren, da die an sie zurückfließenden Zins- und Tilgungszahlungen höher sein könnte als vor dem Schuldennachlaß („Debt Relief Laffer Curve").

Kritiker halten dem entgegen, daß ein Forderungsverzicht keineswegs zwingend zu einer Verbesserung der Wachstums- und Einkommensperspektiven führen muß. Die gelockerten Restriktionen könnten ebensogut einen Konsumanstieg auslösen und damit wirkungslos verpuffen. Ebensowenig kann schlüssig nachgewiesen werden, daß Reformprozesse polit-ökonomisch erleichtert werden. Die

Verschuldung selbst übt bereits einen erheblichen Reformdruck aus und könnte daher die politische Durch-setzbarkeit schwieriger Anpassungen (mit dem Verweis auf internationale Verpflichtungen) eher erleichtem als behindern. In Osteuropa sei derzeit überdies unklar, wer über die Verwendung der durch einen Schuldennachlaß freigesetzten Mittel entscheidet. Allfällige Investitionsvorhaben werden in ihrer Mehrheit wohl noch innerhalb der alten Entscheidungsstrukturen geprüft und umgesetzt.

Es darf bei der Beurteilung von Schuldennachlässen auch nicht übersehen werden, daß ihre unmittelbaren Entlastungseffekte fürdie Schuldnerländer weit geringer sind, als vielfach angenommen. Um dies zu illustrieren, nehme man etwa an, zwei Gläubiger hielten Forderungen von je 50 Geldeinheiten (GE) gegenüber einem Staat, der somit insgesamt mit 100 GE verschuldet ist, aber mit Sicherheit nicht mehr als 50 GE wird zurückzahlen können. Die beiden Gläubiger dürfen daher nur mit Rückzahlungen von jeweils 25 GE rechnen. Entschließt sich nun einer von diesen, auf seine Forderungen gänzlich zu verzichten, so ändert sich für den Schuldner gar nichts. Er muß weiter jene 50 GE zurückzahlen, die er ohnedies gezahlt hätte. Bessergestellt wird lediglich der zweite Gläubiger, der nun seine gesamten Forderungen zurückerhält.

Dieses Phänomen macht verständlich, warum die Interessen der (kommerziellen) Gläubiger bei Schuldennachlässen so schwer organisierbar sind und fast durchwegs die Einschaltung der öffentlichen Hand bei ihrer Durchsetzung erforderlich ist. Es besteht somit die Gefahr, daß die Gläubigerstaaten als primären Effekt des Schuldennachlasses ihre Geschäftsbanken aus Kreditrisiken freikaufen.

Zur Vermeidung all dieser Probleme und Gefahren wird in jüngster Zeit zunehmend der Einsatz alternativer Verschuldungsinstrumente gefordert. Durch sie soll ein Teil des Kreditrisikos von den Schuldnern auf die Gläubiger übertragen, die Rückzahlungs-fristen erstreckt und durch Vorrangigkeit dieser Instrumente gegenüber reinen Bankkrediten, die Erträge allfälliger Schuldennachlässe für die Schuldnerstaaten gesteigert werden. Von den vielfältigen Instrumenten, die dabei vorgeschlagen wurden (Buy-Backs; Securitisation, Exit Bonds et cetera) besitzen im konkreten Fall Osteuropas sogenannte Debt/Equity Swaps, bei denen Kredite gegen Beteiligungskapital an Unternehmungen der Schuldnerländer getauscht werden, die größte Attraktivität.

Es gibt zwar eine ganze Reihe gut begründeter Einwände gegen Debt Equity Swaps. Diese verlieren jedoch in der spezifischen Situation Osteuropas im Umbruch an Relevanz. Allein der durch Debt-Equity Swaps vermutlich induzierte Zustrom von technologischem und organisatorischem Know-how könnte anderweitige Nachteile mehr als ausgleichen.

Nicht ganz von der Hand zu weisen ist jedoch der Einwand, daß als Gegenstand solcher Swaps nur solche Unternehmungen dienen würden, an denen ohnedies ausländisches Interesse bestanden hätte. Verglichen mit einer ganz traditionellen Direktinvestition bedeutetem Debt-Equity S wap für das Schuldnerland aber jedenfalls eine relative Verschlechterung seiner Re-servenposition.

Die unmittelbaren Entlastungseffekte eines Forderungs-1/ Verzichts für die Schuldnerstaa-W ten dürfen daher nicht überschätzt werden. Daran vermag auch der Einsatz alternativer Verschuldungsinstrumente wenig zu ändern. Ob Zweitrundeneffekte von Schuldennachlässen über eine verstärkte und effektivere Investitionstätigkeit die Wachstums- und Einkommensperspektiven nachhaltig zu verbessern vermögen, hängt ja auch letztlich von der polit-ökonomischen Gesamteinschätzung der betreffenden Staaten ab.

Der Autor ist wirtschaftspolitischer Referent des Österreichischen Wirtschaftsbundes.

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