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Selbstbestimmungsrecht der Völker

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Der in Paris lebende ungarische Historiker Fran?ois Fejtö hat in einem kürzlich erschienenen Buch „Requiem für eine Monarchie" die These vertreten und belegt, daß es sich beim Ausfall des alten Österreich als Ordnungsfaktor im Herzen Europas nicht um einen unvermeidlichen Zusammenbruch, sondern um eine mutwillige Zerschlagung gehandelt hat. Die zentrifugalen Kräfte des Nationalismus hätten für sich genommen nicht ausgereicht, um die Einheit dieses Vielvölkerstaates zu sprengen. Erst dadurch, daß die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, hauptsächlich unter Einflüsterung der tschechischen Emigranten Benes und Masaryk, die fanatische Gegner des alten Reiches waren, dieses fallen ließen, war das Schicksal dieses Staates zum Schaden der Völker und der kommenden Zeiten besiegelt.

Das „Selbstbestimmungsrecht der Völker", einer der 14 vom US-Präsidenten Wilson verkündeten Punkte, wurde als Mittel eingesetzt, um die Konstruktion des übernationalen Staates zu zerstören und Nationalstaaten in die Welt zu setzen. Dagegen wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker dort, wo es den Siegern nicht ins Konzept paßte, mißachtet.

Auch heute machen die Weltmächte und auch kleinere Staaten von der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes einen selektiven Gebrauch und enthalten Völkern dieses Recht dann vor, wenn es ihnen, wie im Falle Sloweniens, nicht ins machtpolitische Kalkül paßt. Gab man sich 1918 nationalstaatfreundlich, so agiert man heute eher im Sinne der alten Heiligen Allianz, die den Status quo der Verteilung der Macht nicht gefährdet sehen wollte.

Trotz der diametral verschiedenen Haltung zu vergleichbaren Phänomenen damals und heute sind doch auch die Gemeinsamkeiten und verbindenden historischen Momente unübersehbar. Man kann sich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, daß in den aktuellen Haltungen und Handlungen bestimmter Staaten, so etwa in der kürzlich erfolgten und gegen Österreich gerichteten Wortmeldung des französischen Außenministers, alte Ressentiments nachwirken und frühere historische Rechnungen wieder eröffnet und beglichen werden sollen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker bleibt auf dem historischen Programm und kann als programmatische Forderung ebensowenig verschwinden wie das Recht des einzelnen Menschen auf Selbstbestimmung. Ob es freilich klug und zweckmäßig ist, dieses Recht konkret voll in Anspruch zu nehmen und alle Brücken zu den Nachbarn abzubrechen, statt mit ihnen einen gemeinsamen Weg zu suchen, muß gerade im Hinblick auf die Erfahrungen, die die Völker nach 1918 mit ihrer Freiheit gemacht haben, bezweifelt werden.

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