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Skinheads mit Scheitel

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Wenn Günter Grass als Schriftsteller in die deutsche Politik eingreift, und er tut dies nicht selten, dann wird aus dem Fragezeichen, das er, nach eigenen Worten, „wie einen Tiefbohrer" ansetzen will, oft unversehens ein Rufzeichen.

In der Reihe „Reden über Deutschland" hat der streitbare Autor jüngst in München den Niedergang der politischen Kultur im geeinten Deutschland beklagt. Er wiederholte dort auch seine Kritik an dem einstigen CDU-Generalsekretär und derzeitigen Verteidigungsminister Volker Rühe, dieser sei „ein Skinhead mit Schlips und Scheitel".

Was hier am Beispiel einer Person sehr radikal formuliert wird, ist aber eine Tendenz, die auch der österreichischen Innenpolitik nicht fremd ist: Die politische Mitte rutscht nach rechts. Grass wird nicht müde, diesen Vorgang zu kritisieren und ihn als „existentielle Bedrohung" zu qualifizieren.

Wenn die Kassandras laut werden, melden sich sofort auch die Begütiger zu Wort, die auch oft nicht die schlechtesten Argumente für sich haben. Wenn zum Beispiel Herbert Riehl-Heyse in der „Süddeutschen Zeitung" Anmerkungen zur neuen deutschen Sucht der Selbstgeißelung macht, dann klingt das so: „Irgendwie ist es furchtbar peinlich, aber vielleicht unvermeidlich an dieser Stelle mit einer sensationellen

Neuigkeit herauszurücken: Die Neuigkeit ist, daß es, außer den Mördern türkischer Frauen und Kinder, sehr viele, sehr anständige Deutsche gibt."

Diese donnernde Entdeckung hat zudem den Vorteil, daß sie richtig ist. Man ist versucht zu behaupten, daß sie auch für die Situation in Österreich eine gewisse Gültigkeit hat.

Dennoch bleibt die Warnung vor dem Verlust der politischen Mitte eine wichtige Aufgabe. Die Versuchung des Abdriftens nach rechts ist derzeit besonders groß, dazu kommt, daß der Rechtsradikalismus in Deutschland, aber auch in Österreich mit anderen Maßstäben gemessen wird. Ähnliche Phänomene in Frankreich oder England werden nachsichtiger beurteilt, und wenn deklarierte Nazis lärmend in den USA auftreten, werden sie als verrückte Minderheit abgetan.

Es ist gut, daß sich jetzt in Österreich eine breite Front aus Jugendorganisationen gegen den Fremdenhaß bildet, die mit positiven Parolen gegen politische Stimmfänger mobil macht.

Ein Faktor freilich gilt für alle Länder, die nun wieder mit dem Bazillus des Rechtsextremismus infiziert werden: Das Selbstbewußtsein des Extremisten wächst, je mehr in den Medien über sie berichtet wird. Ihre Zahl steht in keinem Verhältnis zur „Medienwirklichkeit", die sie schaffen, indem sie Unsicherheit und Schrecken verbreiten.

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