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Starke Veränderung der Werte

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Zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts waren immaterielle Werte, wie Religion, Legitimität, Vaterland, Ehre, Pflicht, stärker anerkannt, heute ist ohne Zweifel Wirtschaft als Höchstwert Tür den Großteil der Bevölkerung an deren Stelle getreten. Materielle Nützlichkeit steht an der Spitze der Regierungsprogramme ebenso wie im Streben des privaten Haushalts.

Konkret sieht das so aus: für den Bauern wandelt sich sein Leitbild zum buchführenden Landwirt, der klassenbewußte Arbeiter wird zum marktbewußten Konsumenten, der Bildungsbürger zum aufgeklärten Rechner, der Politiker aus Ideologie wird zum manipulierenden Machttaktiker. Die in der Literatur einst beschriebenen, auf der Bühne agierenden Figuren der Naschmarktweiber, Dorfpaschas, Hausherren, Nobelbarone, ja selbst Bonvi-vants sind fast verschwunden, statt Originalität ergibt sich Austauschbarkeit der Personen.

Nicht geleugnet soll werden, daß in solchen Sätzen klischeehafte Vereinfachung steckt, aber wer den Gegenbeweis antreten möchte, wird es schwer haben. An zwei mikrokulturellen Fakten ist der Umbruch zweifelsfrei nachweisbar. In den Volksbfldungseinrich-tungen gab es zur Zeit Ludo Hartmanns ganz andere Teilnehmerzahlen und einen anderen Elan als heute.

Die Zahl der Hausmusikrunden in Wien ist von Tausenden auf kaum Uber hundert zusammengeschrumpft, neue Jazz- und Popbands kommen allerdings dazu. Für öffentliche Feste und Feiern gibt es ein anderes Beispiel, die Fronleichnamsprozession der katholischen Kirche. Beim „Stadtumgang" zogen einst Kaiser, Regierung und Honoratioren, umsäumt vom Menschenspalier, hinter dem Allerheiligsten, in Österreich waren es an schönen Junitagen Hundertausende. Geblieben sind etwa die Seeprozession in Traunkir-chen, der bescheidenere Umzug da und dort, gelegentliche bunte Bilder für fotografierlustige Touristen.

Familienfeste wie der Heilige Abend zu Weihnachten, sind ebenfalls von der Kommerzialisierung erfaßt. Während der Verkauf von Christbäumen ständig zurückgeht, erzielen bestimmte Handelsbranchen im Dezember Spitzen ihres Jahresumsatzes. Das sind Fakten, nicht bloße Kulturkritik.

Es gibt aber auch Versuche zu neuen Formen, so wenn Hunderttausende

Kinder als „Sternsinger" zu Dreikönige durch Stadt und Land ziehen, auch „Stadtfeste" und manche Popfestivals.

Inmitten der Masse äußerlich nivellierter, massenmedial gesteuerter, vorwiegend nach sozialer Sicherheit strebender Leute stellt sich die Frage, wie eigenverantwortlich der Mensch eigentlich sein will? Meinungsumfragen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Allein von 1976 bis 1979 hat sich die Meinungsverteilung von „Staat bloß als Ordnungsmacht" oder als „Lenkungsstaat" in allen Bereichen von 52 zu 42% auf 40 zu 34% umgekehrt. Jeweils über 70% wünschen sogar noch mehr staatliche Gesundheits-, Alters-, und Subventionsvorsorge.

Dazu gibt es jedoch seit etwa 1970 auch einen Gegentrend, fast gleichzeitig von revoltierenden Studenten und nachdenklichen Erwachsenen ausgelöst. Mit der Bewegung konsumasketischer Alternativen und Bürgerinitiativen in Großstädten (in Graz dzt. ISO, in Wien 16) und benachteiligten Landgebieten (z.B. „Pro Mühlviertel") scheint ein neuer Zug sozialer Bewegung die kulturelle Landschaft zu verändern.

Aus „Spectrum Austria". Wien 1980 (Molden)

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