6935605-1983_08_14.jpg
Digital In Arbeit

Streitgespräch der Literaten

Werbung
Werbung
Werbung

Im 17. Jahrhundert brachen die „Querelles des antiques et modernes" in Frankreich aus und seitdem wiederholt sich in der Literatur immer wieder der Streit zwischen Tradition und Aufbruch: zu neuen Formen und Inhalten, der Kampf zwischen jung und alt, als Generationenstreit und als Kampf der Kunststile. Heute mag er deshalb so heftig ausgetragen werden, weil es praktisch ein

Kampf der Enkel gegen die Großväter geworden ist, denn die vermittelnde Zwischengeneration fiel ja durch die politischen und kriegerischen Ereignisse aus.

Der Literaturwissenschafter Kurt Adel, der neben seinen Cel-tis-, Erasmus- und Faust-Studien und -forschungen nun schon jahrzehntelang über das Wesen und Werden der österreichischen Literatur nachdenkt, hat dieser Problematik nach „Wesen der österreichischen Literatur" und „Geist und Wirklichkeit. Vom Werden der österreichischen Dichtung" (1967) ein neues Werk gewidmet, das die Dialektik von Tradition und Aufbruch in der österreichischen Literatur von 1945 bis heute behandelt.

Er analysiert die Auseinander-setzungzwischen den „Traditionsträgern", die das vielgestaltige Erbe von gestern (Rilke, Trakl, Weinheber, Kafka, Musil, Broch, aber auch das Erbe der katholischen Dichtung und der österreichischen Provinz) verwalten, und den Jungen und Jüngsten, die den Expressionismus, Surrealismus, Dadaismus, — von denen sie ja hermetisch abgeschlossen waren — für sich neu entdecken und zur Thematisierung der Sprache unter dem Einfluß Wittgensteins, Mauthners und anderer zum „linguistischen Gedicht" einerseits und zur scharfen Weltanschau-ungs- und Ideologiekritik andererseits vorstoßen.

Adels „Einführung" in die österreichische Literatur seit 1945, die eher eine „Ausführung" pointierter literarkritischer Urteile genannt werden darf, bedient sich eines Methoden-Pluralismus von geistesgeschichtlichen, psychologischen, Wissens- und literatursoziologischen Denkweisen. Seine treffsicheren Urteile erwachsen aus einer profunden Kenntnis des Materials und seiner biographischen, historischen und sozialen Voraussetzungen bei den behandelten Autoren, von denen kein wichtiger Name fehlt. Vielleicht kommt der eine oder andere ein wenig zu kurz wie etwa der Lyriker Franz Kießling, dessen künstlerischer Weg von Weinheber zu Brecht eine ausführlichere Analyse verdient hätte. Obwohl Adel seine Urteile nicht ausführlich begründet, leuchten sie durchwegs schon durch ihre scharfe Pointierung ein, die ein Ergebnis langen Nachdenkens ist.

Der Autor gruppiert die immense Stoffmasse in fünf Abschnitte, deren Zentrum das Kapitel über die literarischen Zeitschriften von 1945 bis zur Gegenwart bildet. Eine Königsidee, die es ihm ermöglicht, aus deren geistiger Polyphonic und der Vielfalt der in ihnen — oft erstmalig - publizierten Texte die Strömungen und Tendenzen dieses Streitgespräches zwischen Tradition und Aufbruch analysierend zu interpretieren. So entsteht vor uns das vielfältige Geflecht einer österreichischen Literatur, die sich nicht nur den größeren deutschen Buchmarkt erobert hat, sondern auch einen wichtigen Platz in der deutschsprachigen Literatur von heute.

Natürlich ist das eine oder andere Urteil subjektiv, doch ist der Autor um Gerechtigkeit bemüht und zeigt vor allem Verständnis für den kritischen Aufbruch der jungen Generationen. Adel hat mit diesem Buch seine vorangegangenen Bücher zur österreichischen Literatur bei weitem übertroffen.

AUFBRUCH UND TRADITION. Einführung in die österreichische Literatur seit 1945. Von Kurt Adel. Verlag Wilhelm Braumüller, Wien 1982. 271 Seiten, geb.. öS 300.-.

Der Autor ist Gründer der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, deren langjähriger Leiter er war.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung