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Tasche contra Korb

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Gibt der österreichische Verbraucherpreisindex die tatsächlichen Preissteigerungen korrekt wider? Die meisten Hausfrauen werden das verneinen. Der Index ihrer Einkaufstasche steigt viel stärker als der des Warenkorbes des Statistischen Zentralamtes. ÖVP-General-sekretär Kohlmaier artikulierte daher ein weit verbreitetes Unbehagen, als er von einigen Monaten eine häufigere Revision des „Warenkorbes“ — also der Zusammenstellung und Gewichtung jener Waren, die zur Indexberechnung herangezogen werden — forderte: Die Divergenz zwischen Einkaufstasche und Warenkorb scheint sich infolge veränderter Konsumgewohnheiten schon so vergrößert zu haben, daß dieser die tatsächlichen Veränderrungen der Lebenshaltungskosten nicht mehr auch nur einigermaßen exakt spiegelt.

Die Regierung reagierte zunächst gereizt, gab sich aber wenige Tage später bereitwillig: Statistiker hatten ihr inzwischen verraten, daß der Anstieg des Index nach Revision des Warenkorbes sogar geringer wäre.

Was ist mit dem Warenkorb los? Wird er nach fälschen Gesichtspunkten erstellt und stimmt er mit den tatsächlichen Konsumgewohnheiten des Österreichers nicht überein? Wird, wie es des öfteren heißt, in Österreich Indexkosmetik betrieben?

Nun, Indexkosmetik in dem Sinne, daß die Zusammensetzung des Warenkorbes wissenschaftlich falsch wäre, erfolgt in Österreich nicht; der Warenkorb wird auf Grund einer sehr umfangreichen und repräsentativen Rundfrage von den Statistikern nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Freilich gelingt es der Regierung gelegentlich, den vorhandenen Warenkorb zu manipulieren, indem sie auf die indexwirksamen Preise Druck ausübt, die anderen hingegen davonlaufen läßt. Ein drastisches Beispiel dafür ergab sich im Vorjahr bei der Neufestsetzung der Autopreise: im Index scheint nur ein einziges Volkswagen-Modell auf, also drang die Regierung auf dessen Preisstabilität, während sie der Preisentwicklung bei allen anderen Modellen gelassen zusah.

Solchen Schönheitsoperationen wollen die Statistiker in Zukunft einen Riegel vorschieben, indem sie in den künftigen Warenkorb eine größere Anzahl von Pkw-Modellen aufnehmen. In einem relativ überschaubaren Bereich wie dem der Autos wird also eine Verringerung der Manipulationschancen durchaus möglich sein, bei der ungeheuren Vielfalt keinerer Konsumartikel stößt das freilich auf Schwierigkeiten

Dazu kommt noch, etwa bei Modeartikeln, das Problem der Vergleichbarkeit. Wenn etwa alle halben Jahre eine neue Schuhkollektion auf den Markt gebracht wird, so fragt es sich, welche Modelle miteinander verglichen werden sollen. Hier hat der Index schwache Punkte, doch dürfen diese nicht überbewertet werden: bei den daraus resultierenden Fehlerquellen dürfte es sich — auf den Gesamtindex berechnet — doch nur um Zehntelprozente handeln, also angesichts der heutigen Teuerungsrate um „kleine Fische“. Der Bewegungsspielraum für ministerielle Schönheitschirurgen ist glücklicherweise relativ gering.

Der eigentliche Grund für die Diskrepanz zwischen Einkaufstasche und Warenkorb liegt anderswo: Schuld ist einfach das Faktum, daß sich in der Einkaufstasche die Güter des täglichen Bedarfes befinden, im Warenkorb hingegen zusätzlich auch noch die langlebigen Konsumgüter; gerade deren Preise steigen verhältnismäßig langsam an und wirken daher als „Indexbremsen“. Wenn wir uns den Verbraucherindex für Oktober ansehen, der einen Rekordanstieg von 7 Prozent (gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat) aufwies, zeigt sich das ganz deutlich: während die Preise für Hausrat um 4,9 Prozent stiegen, erhöhten sich diejenigen für Saisonwaren (Obst, Gemüse usw.) um 14,2 Prozent, für Tabakwaren um 13,9 Prozent, für Wohnung um 10,2 Prozent, für Verkehr um 9,4 Prozent, für Körper- und Gesundheitspflege um 8,8 Prozent, und für Ernährung und Getränke inagesamt um 7,1 Prozent. Freilich sind einige Teilindexzahlen etwas problematisch, so etwa der Wohnungsindex, der ein Sammelsurium völlig konträrer Preisentwicklungen dar-' stellt und auch diese nicht ganz exakt wiedergibt, aber der Trend ist nicht zu verkennen: der Aufwand für die menschlichen Elementarbedürfnisse und die laufenden Anschaffungen steigt viel stärker als derjenige für seltene oder gar einmalige Anschaffungen von nicht existenzwichtigen Gütern. Die Preise für Lebensmittel, unentbehrliche

Dienstleistungen (Friseur usw.) und Professionisten (Elektriker, >tInstai-» lateur, Mechaniker und andere) steigen sprunghaft an, während sich Industriegüter — man denke zum Beispiel an Kühlschränke oder Fernsehgeräte — zumindest im letzten Dezennium sogar zum Teil verbilligten.

Auf den Index sei also doch kein Verlaß, wird mancher einwenden;

was interessieren ihn die Kühlschrankpreise, wenn er sich einmal in zehn Jahren ein solches Gerät anschaffe, oder die Autopreise, wenn er gar keines besitzt?

Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen; was ihn besonders schlimm macht, ist die Tatsache, daß er um so mehr zutrifft, je ärmer der Betreffende ist. Eine Indexanalyse zeigt nämlich das durch und durch Unsoziale der Inflation: dadurch, daß die existenzwichtigen Waren und Dienstleistungen die höchsten Preissteigerungsraten verzeichnen, wirkt sich die Geldentwertung auf die ärmeren Bevölkerungsschichten viel stärker aus als auf die wohlhabenderen, in deren Budget die langlebigen Konsumgüter und sonstigen Industrieerzeugnisse eine viel größere Rolle spielen.

Einen schwachen Reflex dieser Tatsache finden wir im Pensionistenindex, der auf Grund eines eigenen Warenkorbs für die zumeist einkommensschwachen Pensionisten errechnet wird. Er steigt empfindlich stärker an als der allgemeine Verbraucherpreisindex; erhöhte sich dieser im Vorjahr um 4,7 Prozent, so jener um nicht weniger als 5,6 Prozent. Die Diskrepanz in diesem Jahr wird voraussichtlich noch größer sein. Dabei wird dem Umstand nicht Rechnung getragen, daß Pensionisten zum Teil zwar wohl auch einen Kühlschrank und einen Fernsehapparat besitzen, aber für den Rest ihres Lebens nicht die Absicht haben, sich neue Geräte anzuschaffen. In ihrem Warenkorb dürften diese Prdukte nicht einmal mehr leicht gewichtet, sondern überhaupt nicht drinnen sein; was für sie noch zählt, ist nur der hohe Index für die laufenden Ausgaben.

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