6846689-1976_24_12.jpg
Digital In Arbeit

Tendenz allein tut es nicht

19451960198020002020

Am 26. und 27. Mai fand in Mattersburg, vom Kulturzentrum Mattersburg veranstaltet, eine Literaturtagung statt. Andreas Okopenko, Wolfgang Kudrnofsky, Christian Wallner', Michael Scharang, Vintila Ivanceanu, Hans Rochelt, Klaus Sandler, Heinz R. Unger, Robert Stauffer, Johann Miletits, Gustav Ernst, Werner Kofier und Peter Rosei befaßten sich unter der Leitung von Doktor Günther Unger mit dem Thema „Literatur und die Arbeitswelt“. Daß es bei stilistisch so verschiedenen Autoren zu keiner gemütlichen Wortagape gekommen ist, versteht sich von selbst.

19451960198020002020

Am 26. und 27. Mai fand in Mattersburg, vom Kulturzentrum Mattersburg veranstaltet, eine Literaturtagung statt. Andreas Okopenko, Wolfgang Kudrnofsky, Christian Wallner', Michael Scharang, Vintila Ivanceanu, Hans Rochelt, Klaus Sandler, Heinz R. Unger, Robert Stauffer, Johann Miletits, Gustav Ernst, Werner Kofier und Peter Rosei befaßten sich unter der Leitung von Doktor Günther Unger mit dem Thema „Literatur und die Arbeitswelt“. Daß es bei stilistisch so verschiedenen Autoren zu keiner gemütlichen Wortagape gekommen ist, versteht sich von selbst.

Werbung
Werbung
Werbung

Ist die Arbeitswelt die Welt der Arbeiter oder gehören zu ihr auch die Staatsbeamten, möglicherweise die Topmanager oder gar die spätkapitalistischen Eigentümer der Produktionsmittel? Ja oder nein? Denn man muß das doch ganz genau wissen...

Solohe und andere ähnliche schwarzhumoristisohe Spitzfindigkeiten beschäftigten den ideologisch wachsamen Geist einiger Literaten, welche sich in Mattersburg verbissen bemühten, eine Literatur der Arbeitswelt aus der stalinistischen Wiege zu heben. Interessant, wie viele Teilnehmer bemerkten —, daß die Sprachschwester BRD schon 1961 auf ihr literarisches Konto den Düsseldorfer Kreis verbuchte, der sich ja bekanntlich als eine Filiale zumindest des Gewerkschaftskampfes verstand.

Grobe programmatische Proklamationen dieser Institution deuteten sohon damals auf eine massive, fast klinische Naivität hin: die Literatur der Anbeitswelt ist nur dann eine gelungene, wenn die Autoren selbst aus der Arbeiterklasse stammen. Als ob die soziale Identität eines Autors, mechanischerweise, im Sinne eines Pawlowschen Hundereflexes, fern von Talent und Bildung, die literarische Identität herstellte!

Diese Fetischisierung des Sozialen wird nicht einmal von einer materialistischen Position her verkraftet. Denn um das von den Marxisten heiß ersehnte Klassenbewußtsein zu bilden, brauchen seine Bewußtseinsträger unbedingt eine literarische Schulung des Gesamtbe-wußtseins, das im Überbau vorwiegend die sogenannte herrschende bürgerliche Ideologie mitenthält. Oder glauben die Arbeiterdichter, die Strategie des Wortkampfes könne sich den Luxus leisten, die Waffen des Klassenfeindes zu ignorieren? Sie glauben es.

Das Ergebnis in der Bundesrepublik: ideologische Wortinzueht mit politfolkloristischen Zügen, eben eine sprachlose Monstrosität, nicht frei von einem gewissen Unterhaltungswert für den Klassenfeind. Und zu Recht stellte im Laufe des Gespräches Wolfgang Kudrnofsky fest, diese scheinliterarische Tendenz und ihr bundesdeutscher Quasi-Erfolg entsprächen in der BRD sowohl einer politischen Konfusion als auch einer intellektuellen Mode. Aus vielleicht historisch erklärbarer Ubersättigung mit schöngeistiger Literatur, entstand ein schnell vorübergehendes Bedürfnis nach einer sich klassenkämpfe-risCh gebenden Worturheberschaft. Das Lesepublikum dieser „Agitprop-Hinterglasmalerei“ war natürlich ein bürgerlich sehr gebildetes, das modebewußt Arbeiterdichtung trug wie eben Zylinder oder Jeans.

Es ging so weit, daß, wie Kudrnofsky aus seiner reichen Gastarbeitererfahrung in der BRD bestätigte, Verlage und Rundfunkstationen vom ökonomischen Boom der Arbeiterdichtung erwischt, diese Wortrichtung mit übermäßig kulanten Zuschüssen förderten. Und einige Zeit stimmte die Kassa auch.

Nun, es scheint, daß nach der Erschöpfung dieser Schule in der BRD endlich auch einige österreichische Literaten den Klassenkampf als Importprodukt vermarkten wollen. Auf dieser Mattersburger Tagung vor allem Gustav Ernst, Christian Wallner, Heinz R. Unger und Michael Scharang. Sie alle versuchten, die von ihnen ins Leben gerufene Protestwirtschaft mit einer stark soziologischen Argumentation au begründen. Der differenzierteste dabei war Christian Wallner, der vor der üblichen maßlosen Uberschätzung der Literatur im Klassenkampf unmißverständlich warnte. Sein Vortrag war eine vulgär-melancholische Harakiri-Szene eines Arbeiterdiohters: Wallner sprach der arbeitsweltfreundlichen Literatur fast jede Wirkung ab, er verwies diskret auf das politische Nichtbe-wußtsein der Arbeiterklasse in Österreich und schließlich beklagte er die heutige Ästhetisierung der Politik und die Entpolitisierung der Masse. Die einzig richtige Reaktion auf diese Phänomene wäre, so Wallner, die Politisierung der Literatur.

Meinem Vorschlag, wir hätten uns um eine Entpolitisierung der Politik und gleichzeitig um die Ästhetisierung der Masse zu kümmern, wußte Wallner nichts als ein „Das geht doch nicht!“ entgegenzusetzen.

Und bei aller linksgerichteten Selbsternüchterung geriet Wallner zum Schluß in dieselbe Sackgasse, aus der er ursprünglich ausbrechen wollte: die Euphorie der weltwirksamen Arbeiterdichtung ersetzte er mit den Tretjakowschen Begriffen „operative Literatur“ und „eingreifendes Denken“. Also doch bloß ein terminologischer Austauschtrick!

Und wie sollte diese k. u. k. operative Literatur ausschauen? Würde man Michael Scharang,, diesem Narziß der Arbeiterklasse, glauben, so wäre sie vor allem von Inhalten bestimmt. Diese Inhalte würden direkt aus der Arbeitswelt herausgeangelt und im Schnellverfahren mit Hilfe materialistischer Dogmatik klassenkampfreif geschliffen. Sie hätten den gewaltigen Auftrag, soziale Realität im Sinne des Materialismus zu gestalten. Daß damit Scharang selbst sich einer aufgefrischten Variante des für seine Glauibensgenossen bestimmt reaktionären Nominalismus unterwirft, davon dürfte er herzlich wenig bemerkt haben.

Und ebensowenig störte ihn seine Definition der Literatur durch literaturfremde Begriffe wie etwa „ideologisch aufgeladener Inhalt“.

Wobei ich mir erlaubte, diese seine Literatur als Außerliteratur zu bezeichnen. Da war seine (von den Veranstaltern doch mit barem Geld honorierte) Hörgeduld zu Ende: wahrscheinlich als Protest gegen die eigene Unfähigkeit, seine per Ukas. bekanntgemachten Begriffe theoretisch in Schutz zu nehmen, verließ Scharang den Saal und zog sich klassenbewußt in die Sauna des Mattersburger Kulturzentrums zurück.

War es, wie der sonst zurückhaltende Hans Rochelt sagte, wirklich linke Arroganz?

Da halfen die Redeanstrengüngen eines Heinz R. Unger oder Gustav Ernst gar nicht, um die Außerliteratur wieder in der verdammtbürgerlichen Literatur zu verankern. Kein Wunder bei der rührenden Aritkula-tionslosigkeit dieser beiden, die, wie auch Christian Wallner oder Michael Scharang, zärtlich von Peter Rosei durch poetische Zwischenrufe verspottet wurden.

Rosei erwies sich auf dieser Tagung als echter Poet, der hinter seiner lyrischen Kasperlmaske die Verachtung für jegliche aus der Ideologie herausavortierte Literatur kaum zu verbergen suchte. Eigentlich, behauptet unschuldig verspielt Rosei, müßte man auch über ihn als Subjekt der Arbeiterdichtung ein Epos schreiben, denn, so Rosei: „Ich bin ein Heimarbeiter der Literatur.“

Aber abgesehen von der Theorie: was Scharang als Arbeiterdichterlesung anbot, bestärkte Wallners Sorge, die Primärliteratur der Anbeitswelt hinke der Theorie nach. Scharang las zwei Kapitel aus seinem neuen Roman vor, eine Bearbeitung jenes Drehbuches, welches in Axel Cortis Filminszenierung offizielle Lobhudelei einheimste. Ein plump-realistischer Kolportageroman, in einer sozial völlig undifferenzierten Sprache geschrieben, linear bis zur Monotonie und, wie Klaus Sandler detailliert und überzeugend demonstrierte, ohne jegliche psychologische Motivation. Fazit: Klassenkonifdikte an sich sind noch lange keine Literatur.

Diese Meinung teilte Sandler auch mit Kudrnofßky, mit mir, mit Robert Stauffer und Peter Rosei — es fielen auch Worte wie „literarischer Dreck“. Wobei unvermeidlich die Frage auftauchte: Hält Scharang die Arbeiter, für die er nach eigenen Angaben schreibt, für geistig minderbemittelt? Oder verfaßte er doch nur ein Kiosk-Script, eben Stadtbahndektüre zum ökonomischen Selbstzweck? Uberhaupt ver-anlaßte die wiederholte Bemerkung seitens der Arbeiterdichter, Literatur käme nur auf Grund von Sozialkonflikten zustande, zur legitimbissigen Reaktion: so Heidi Dumrei-oher, die fest protokollierte, wenn Literatur bloß von Sozialkonflikten geboren wird, dann werde es in einer klassenlosen und also völlig konfliktfreien Gesellschaft auch keine Literatur mehr geben. Die klassenlose Gesellschaft als literaturlose Gesellschaft?

Jedenfalls irrte Walter Benjamin nicht, wenn er, sich an die verideologisierten Schreiber wendend, schrieb: ,JDie Tendenz allein tut es nicht.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung