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Tote Augen als „Zierde”

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Man kann natürlich darüber streiten, was eine echte Volksbewegung ist, wird jedoch zugeben müssen, daß an Verbreitung und Entschlossenheit - trotz Antiatomkampagne - nichts der Installierung von Kippfenstern ohne Fensterkreuz im ländlichen Bereich gleichkommt. Natürlich machen sich alle Schöpfer von Neubauten diesen Höhepunkt technischen und ästhetischen Fortschritts zu Nutze, doch sind auch die Eigentümer alter Häuser wie ein Mann daran gegangen, ihre alten Fenster durch neue - kreuzlose - zu ersetzen.

Es soll nun gar nicht in andere Bereiche abgeschweift und geprüft werden, ob letztlich das österreichische Beschäftigungswunder nicht durch diesen Investitionsstoß in den letzten drei Jahren herbeigeführt worden ist. Aber es bleibt festzuhalten, daß alle, alle ihre Fensterstöcke herausbrachen; Inhaber von Häusern in gutem Zustand, solchen verfallenen Aussehens, von Bauten deren historische Fassaden man schon in der Vergangenheit heruntergeschlagen und von solchen, die irrtümlich ihre noch behalten hatten.

Das, was sich da vor unseren Augen vollzieht, ist freilich nur der letzte Akt des Dramas, in dem ein wesentlicher Teil unserer nationalen Kultur vernichtet wird. Die Ursachen dafür sind bekannt: die infantile Nachahmung neuerer- zumeist einfallsloser- städtischer Bauformen. Wenn man aber davon ausgeht, daß die Zerstörung ihrer eigenen Kultur nicht das dringendste Bedürfnis der ländlichen Bevölkerung sein konnte, wird man doch derer zu gedenken haben, die eine solche Entwicklung vielleicht hätten verhindern können.

Nicht zu Unrecht bezeichnet man bis in die jüngste Zeit die Bauernschaft als eine hoch integrierte Bevölkerungsgruppe, die politisch und ökonomisch unter Mitwirkung der öffentlichen Hand straff organisiert ist. Gerade aber die Organisationen der Landbevölkerung haben in der Erhaltung der ländlichen Kultur vollständig versagt.

Sicherlich versuchen die ländlichen Geldinstitute bei Filialneubau- ten heute noch zu retten, was zu retten ist, andererseits waren sie die ersten, die vor Jahren das Werk der Zerstörung begannen. Wer erinnert sich nicht der-noch geschlossenen- Dorfplätze, deren Anblick durch ein Ungetüm mit riesigen Schaufenstern (die für Geldinstitute von vitaler Bedeutung sind) verunglimpft wurde.

Ebenso war es sinnvoll, einer Bevölkerungsgruppe, die unter besonderem ökonomischen Druck steht, Verbesserung ihrer Behausungen finanziell zu erleichtern. War es jedoch zulässig, sich überhaupt nicht darum zu kümmern wie gebaut wird? Es soll nicht übersehen werden, daß viele der kulturhistorisch wertvollen Bauten nicht den besten Wohnkomfort hatten. Aber haben die Landesregierungen und Landwirtschaftskam- mem, welche eben über die Kreditgewährung gewaltigen Einfluß auf die Bauherrn hätten ausüben können, jemals auf Sanierungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht, oder gab es irgendwelche Modelle oder Hinweise darauf, wie man Neubauten einer gewachsenen Baulandschaft anpassen könne - ja wurden die Hausbesitzer überhaupt jemals auf den Wert ihrer Häuser und Ortschaften hingewiesen?

Wäre der „ländliche Raum” nicht ein politisches Schlagwort gewesen, das vergessen war, kaum, daß es ausgesprochen wurde, hätte darum so etwas wie eine kulturelle Bewußtseinsbildung der ländlichen Bevölkerung entstehen können, der Versuch, über das ökonomische hinaus, eine neue Definition dieser Bevölkerungsgruppe zu finden, ein Selbstverständnis, das es ihr wohl erlaubt hätte, sich in die Industriegesellschaft zu integrieren, doch bei Bewahrung ihrer sehr spezifischen Kultur; so aber bleibt davon im direkten wie übertragenen Sinne eine Ruine - die einen aus toten Augen anstarrt.

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