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Verschlüsselte Botschaften

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Nicht alle standen auf dem Heldenplatz, nicht alle haben „ihre Pflicht“ getan. Von den Verweigerern leben heute noch Gewissen und Moral unseres Volkes. Zu denen, die offen oder verdeckt gegen ein kriminelles Regime ankämpften, gehörte Wilhelm Szabo, der Dorfschullehrer, der dem kämpferischen Optimismus der völkisch bewegten Jugend schon seit dem Ende der zwanziger Jahre subversiv die Wehmut des Scheiterns entgegengesetzt hat. Daß er das scheinbar im Stil und mit dem Vokabular der Naturmystik dieser Zeit getan hat, weist ihn als einen Sprachkünstler aus, dessen Bedeutung bisher noch nicht richtig erkannt und eingeschätzt worden ist.

Heimat ist ihm nicht Besitz wie den vielen, die sie unentwegt auf den Lippen führen, sondern eine leidvolle Aufgabe, etwas, das es ständig neu zu erringen gilt. Die von ihm beschriebene Welt des Dorfes ist keine heile Welt, sondern eine unheile und gleicht in manchem der von Theodor Kramer beschriebenen. Fremd glotzt sie dem Sonntagswanderer entgegen. Und selbst dem jahrzehntelang in ihr lebenden Dorf schullehrer begegnet sie noch mit Abweisung und mit Härte.

Wie Heinrich Suso Waldeck und Theodor Kramer hat sich Wilhelm Szabo als Kritiker des Heimatgefühls ausgewiesen. Im Gegensatz zu ihnen, macht er aber auf die Doppelbödigkeit der nur scheinbar intakten Oberflächenrealität aufmerksam. Dicht hinter der Idylle klafft schon der Abgrund. Unversehens entpuppt sich manches Stimmungsbild als politischer Kassiber.

Da ist zum Beispiel „Meister Helmbrecht“, eine jener düsteren Gestalten des Mittelalters, Sinnbild für den hochfahrenden Sinn des zu Geld und Ansehen gelangten Bauern. Auf den ersten Blick scheint auch dieses Gedicht das Thema aller Blut-und-Boden-Dichtung wieder aufzunehmen: die harte Rechtlichkeit des Familienoberhauptes, die dem verkommenen Sohn Gerechtigkeit widerfahren läßt, indem sie ihn der Wut der durch Meier Helmbrechts Raubzüge und Brandschatzungen wildgemachten Bauern überantwortet.

Und dennoch hat Wilhelm Szabo der von den Nationalsozialisten verklärten volkhaft angestammten Grausamkeit und Härte des mittelalterlichen Menschen mit seinem Gedicht eine klare und unmißverständliche Absage erteilt.

Sie wird begreifbar, sobald wir den „Meier Helmbrecht“ in einen Zusammenhang mit der Parabel vom verlorenen Sohn stellen. Das den Juden immer wieder zu Unrecht vorgeworfene Rachedenken wird — wie wir jetzt sehen — vom germanischen Vater exekutiert, während, im Gegensatz dazu, der Vater im biblischen Gleichnis seinen reuigen Sohn in Liebe wieder aufnimmt.

Ähnlich ist der Dichter auch in anderen Gedichten vorgegangen. Ein guter Teil seines Werkes erweist sich somit als Versuch, dem deutschen Menschen, der „blonden Bestie“ den Spiegel vors Gesicht zu halten. Ein mutiges und — wenn man die Sanktionen der Machthaber in ähnlichen Fällen bedenkt - nicht gerade ungef ährliches Unternehmen.

Während Wilhelm Szabo also in seiner Lyrik versuchte, die Wirkungsweise des Bösen an und mit dem Jargon und der Metaphorik der Literatur des Nationalsozialismus darzustellen, benützte Erika Mitterer die Camouflage des historischen Romans dazu, in ihrem groß angelegten Werk „Der Fürst der Welt“ Elemente des Massenwahns für ihre noch nicht davon ergriffenen Mitmenschen deutlich zu machen.

Der Fürst der Welt, das ist der Teufel, und des Teufels sind auch jene Bürger eines mittelalterlichen Gemeinwesens — geflissentlich wird dessen Name verschwiegen, um darauf hinzuweisen, in welchem Ausmaß das Geschehen an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Zeit möglich wäre —, die sich nach und nach von einer Sturzflut an Denunziationen ihrer Nachbarn mitreißen lassen. Des Teufels sind aber auch die Würdenträger und die Beamten der Inquisition, die durch die Fallstricke ihrer Fragen den Ablauf des Verhängnisses auslösen.

Erika Mitterer spiegelt in die Hexenjagd des ausgehenden Mittelalters jene andere, ungleich ausgedehntere und umfassendere Jagd nach Juden und Dissidenten, die das Dritte Reich veranstaltete. Harmlose Hausfrauen, biedere Handwerker, Mütter, Beamte: sie alle werden zu Opfern eines Wahns, dem sie erliegen, indem sie sich ihm zu entziehen glauben.

Das Porträt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, des totalitären Staatswesens schält sich umso getreuer aus den Umrissen der Vergangenheit, je eingehender sich Erika Mitterer mit den Details der geschichtlichen Realität auseinandersetzt.

Mit diesem Hinweis auf vergangenes Leiden wird auf die Vergänglichkeit allen Leidens, auch auf die Vergänglichkeit des nationalsozialistischen Terrors, in einer selbst für die Reichsschrifttumskammer nicht ahndbaren Form aufmerksam gemacht. Neben Erika Mitterers Roman hatte nur noch der historische Essay „Das Reich der Dämonen“ von Frank Thieß eine vergleichbare Wirkung als Träger verborgener Botschaften. 1941 erschienen, wurde er sofort als ein Werk des Widerstandes und der Kritik anerkannt und, insgeheim, begrüßt, mit ähnlichem Enthusiasmus begrüßt wie auch der bezeichnenderweise schon um 1933 begonnene und erst 1940 publizierte „Fürst der Welt“, der es innerhalb von nur wenigen Jahren auf 50.000 verkaufte Exemplare gebracht hat.

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