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Verzicht auf Wohlgefälligkeit

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„Der Steirische Herbst ist kein Oktoberfest“, verkündete Landtagspräsident Professor Koren, der Initiator des progressiven Grazer Festivals. „Wir Steirer haben ein gut gebautes Haus. Aber wir machen die Fenster weit auf — da kann es passieren, daß eine Topfpflanze hinunterfällt“: damit etwa spielte Koren bei seiner Eröffnungsrede auf die beleidigte, ja wütende Reaktion eines Teils der Öffentlichkeit auf das provokante Plakat zum Steirischen Herbst an. Dieses — wir berichteten darüber — war von einer Freizeitkünstlergruppe der Puch-Werke in einem gruppendynamischen Auswahlprozeß earbeitet worden. Daß es keine besonders gute Lösung wurde, wissen alle. Die steirischen Bürger aber fühlten sich durch die unbekümmerte Derbheit und die intendierte Assoziationsrichtung der Affiche provoziert. Indessen: „sie schlagen den Sack und meinen den Esel“, so Koren; das schwache Plakat ist dem Kulturspießer nur der Anlaß, seinen Unmut über die Herausforderung des Steirischen Herbstes abzureagieren.

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„Der Steirische Herbst ist kein Oktoberfest“, verkündete Landtagspräsident Professor Koren, der Initiator des progressiven Grazer Festivals. „Wir Steirer haben ein gut gebautes Haus. Aber wir machen die Fenster weit auf — da kann es passieren, daß eine Topfpflanze hinunterfällt“: damit etwa spielte Koren bei seiner Eröffnungsrede auf die beleidigte, ja wütende Reaktion eines Teils der Öffentlichkeit auf das provokante Plakat zum Steirischen Herbst an. Dieses — wir berichteten darüber — war von einer Freizeitkünstlergruppe der Puch-Werke in einem gruppendynamischen Auswahlprozeß earbeitet worden. Daß es keine besonders gute Lösung wurde, wissen alle. Die steirischen Bürger aber fühlten sich durch die unbekümmerte Derbheit und die intendierte Assoziationsrichtung der Affiche provoziert. Indessen: „sie schlagen den Sack und meinen den Esel“, so Koren; das schwache Plakat ist dem Kulturspießer nur der Anlaß, seinen Unmut über die Herausforderung des Steirischen Herbstes abzureagieren.

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Herausforderung allerorten, Risiko im Experiment, Verzicht auf Wohlgefälligkeit — ob es um das Weltmusikfest der IGNM geht, die Theateraufführungen, die Steirische Akademie oder die Kunstausstellungen. Diese letzteren allerdings bedeuten kaum eine Provokation.

Provokant jedoch wirkte auf so manchen die diesjährige Steirische Akademie. Sie ist nach dem Willen des. Landeskulturreferenten Professor Jungwirth Bildungsproblemen gewidmet, ebenso wie die neue Wege beschreitende Landesausstellung. Das steirische Problembewußtsein sollte hier mit internationalen Entwicklungen und Erfahrungen konfrontiert werden.

Die neue Intendanz der Vereinigten Bühnen wartete zu Saisonbeginn mit einem Fest der schönen Stimmen in den „Puritanern“ von Bellini auf. Weniger spektakulär gab sich der Anfang im Schauspielhaus.

Da inszenierte der neue Oberspielleiter Rudolf Kautek, ein in Graz bereits bewährter Mann, Shakespeares „Kaufmann von Venedig“, ein bißchen in der Art des Laurence Oli-vier: Antonio und Shylock in der Gründerzeit, inmitten einer Gesellschaft von Börsenspekulanten. Das ging nun wieder mit so und so vielen anderen Elementen des Werkes nicht recht zusammen. Diese annäherungsweise Aktualisierung bedingte eine allzu komödien-, ja possenhafte Interpretation der Märchenwelt Bel-monts. Eine Menge guter Detaillösungen konnte nicht über die unbefriedigende Disparatheit des Ganzen hinwegtrösten.

Als Beitrag zum Steirischen Herbst stellte das Schauspiel Elias Canettis „Komödie der Eitelkeit“ in einer Inszenierung Hermann Kutschers zum erstenmal in Österreich vor. Das Werk ist beinahe vierzig Jahre alt und wurde erst 1950 gedruckt. Das Spiegelmotiv, Lieblingskind des österreichischen Theaters, ist hier das alles beherrschende Thema. Ideen und deren szenische Umsetzung finden sich hier, die später bei Ionesco und bei Genet (besonders im „Balkon“) auftauchen. Im wesentlichen geht es um zwei Handlungsgruppen: die Verwandlung des Individuums in einen nicht mehr differenzierbaren Teil der amorphen Masse und den verzweifelten Versuch einer sich immer stärker ausbreitenden Bewegung, das eigene Gesicht zurückzugewinnen.

In einer etwas gesuchten Handlungspointe raffen sich die Spiegellosen auf und überschwemmen alles mit dem Schlachtruf des ihnen so lange vorenthaltenen Ich. — Das prophetische, farbstarke Werk, das in der Zeichnung mancher Szenen aber auch in der Sprache an Horvath erinnert (jedoch grotesker, skurriler ist), setzt der szenischen Realisierung beträchtliche Schwierigkeiten entgegen. Hermann Kutscher ist der Gefahr, die vielen Einzelteilchen des Canettischen Mosaiks isoliert zu bringen, leider nicht entgangen. Was simultan hätte wirken sollen, wurde in Sukzession gegeben: so zerflatterte das ohnedies wenig geschlossene Werk vollends. Ein nicht uninteressantes Experiment war es, das Bühnenbild je eines der drei Akte von einem jungen Maler gestalten zu lassen. Am eindrucksvollsten gelang dies Peter Pongratz, der den dritten Akt „überhatte“: seine Bühnengestaltung war ein künstlerischer Wurf für sich. Im ganzen also eine Gelgenheit, die nicht recht genutzt wurde; trotz starker und packender Einzelheiten wurden einem die drei Akte doch ein wenig lang.

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