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Wege zum Publikum

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Bereits zum zweitenmal in diesem Jahr hat Pierre Boulez sich im Wiener Konzerthaus mit einem „Open House“ und Galakonzerten präsentiert: als umjubelter Weltstar des Taktstocks, als einer der bedeutendsten Mentoren junger Komponisten und dank seiner Werke, wie „Improvisations sur Mallarme“ oder „Marteau sans Maitre“, noch immer als führender serieller Komponist; auch wenn er vorerst in einer Krise steckt, die er in den neuen Kompositionen „Eclat“ oder der Kantate nach Cummings zu überwinden sucht.

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Bereits zum zweitenmal in diesem Jahr hat Pierre Boulez sich im Wiener Konzerthaus mit einem „Open House“ und Galakonzerten präsentiert: als umjubelter Weltstar des Taktstocks, als einer der bedeutendsten Mentoren junger Komponisten und dank seiner Werke, wie „Improvisations sur Mallarme“ oder „Marteau sans Maitre“, noch immer als führender serieller Komponist; auch wenn er vorerst in einer Krise steckt, die er in den neuen Kompositionen „Eclat“ oder der Kantate nach Cummings zu überwinden sucht.

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Boulez, der Perfektionist, scharfe Analytiker, kritische Theoretiker, will es freilich nicht eingestehen: Das Dirigieren hat als Folge dieser Krise längst Vorrang vor dem Komponieren, und didaktisch-pädagogische Ideen und die ständige Auseinandersetzung mit der jungen Generation sollen über manche Probleme hinweghelfen. Das heißt: selbst im amüsant-witzigen Gespräch mit Boulez landet man sehr bald bei seinen Lieblingsthemen wie Arbeit mit dem Orchester, Programmierungen von Konzertzyklen, „Open House“ und Möglichkeiten, dem Publikum das Verstehen neuer Musik zu erleichtern … „Wissen Sie, es fasziniert mich, in alten und neuen Partituren, die ich sehr gut zu kennen glaube, Entdeckungen zu machen“, entschuldigt er sein Faible: „Liszt ist für mich solch ein Fall. So mancher Kritiker wirft mir natürlich .Ausgrabungen“ wie die der ,Legende von der heiligen Elisabeth’ in New York vor… Aber man darf dem Publikum doch nicht immer nur die selben Meisterwerke vorsetzen. Es verliert die Verbindung zu Zeitphänomenen, ein paar Namen, wie der Wagners, werden zu Monstren ohne historische Umgebung. Das Publikum selbst erzieht man so bestenfalls zur Kritiklosigkeit!“

Parallel zu seinen didaktischen Plänen mit dem 19. Jahrhundert entwickelte er seine Idee vom „Open House“: „Kritiker, die sich alle schrecklich sicher fühlen, werfen mir nur zu gern vor, daß ich nicht auschschließlich Meister stücke der neuesten Musik vorstelle. Aber gerade das halte ich in einem ,Open House’ für sinnlos. Mit einer Aufführung will ich ja noch niemandem die Qualität eines Stücks einreden. Aber will man den jungen Komponisten auch noch die wenigen Chancen nehmen, ihre Stücke aufgeführt zu hören…? Es ist sicher keine Methode, Meisterwerke aufzuspüren. Aber vom häufigen Hören und Diskutieren über Musik hat das Publikum mehr — einen intimen Kreis vorausgesetzt — als vom kritiklosen Anhimmeln klassischer Musik!“

Diie Frage nach der Qualität der Kompositionen der Jungen, nach dem „Angebot“ drängt sich auf. Boulez reagiert scharf: „Die fünfziger Jahre waren anstrengend produktiv, theoretisch ungemein fruchtbar. Seit Mitte 1960 haben wir nur noch Freiheiten, aber keinen Rahmen mehr. Es fehlt an kritischen Reflexionen, am Überdenken der Situation. Talente vergeuden sich in Randlösungen. Die Politisierung der neuen Musik hat schließlich zu reinem Geschwätz geführt. Einerseits suchen ein paar, die sich vor dem Altwerden fürchten, nach gängigen Slogans, anderseits machen ein paar Junge, die oft nicht einmal das Handwerk beherrschen, bloßes Geschrei… Ich sehe oft Dutzende Partituren, aber es sind immer wieder nur .Lösungen am Rande’!“

Und dann meint Boulez, daß es an der Zeit wäre, in den USA ein Institut für Neue Musik und technische Medien zu eröffnen, wo erst einmal Grundlagenforschung betrieben werden müßte.

Besonders dilettantisch erscheint ihm freilich das neue Musiktheater: „Mangel an Professionellem … Alles zu primitiv, lächerlich, aufgeblasener Amateurismus“, fährt er auf. „Sie rennen mit ihren Montagen alle geöffneten Türen ein. Und der Collagewahn zeigt die Impotenz auf diesem Gebiet!“

Nicht von ungefähr spricht er dann über die Oper: „Ich würde manchmal gern wieder Oper dirigieren. Aber ich stimme mit Karajan überein, daß man das im normalen Betrieb nicht mehr kann. Drei Galaabende zu leiten und dann gelegentlich Feuerwehr zu spielen in verrotteten Vorstellungen, interessiert mich nidit. Deshalb mußte ich ,Moses und Aron’ in Wien ablehnen. Ich brauche allein 30 Tage intensive Proben für die Erarbeitung der Musik. Und ich habe mit meinen beiden Orchestern, dem New Yorker und dem der BBC London, schon genug zu tun.“

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