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Digital In Arbeit

Wenn rote Firmen Pleite machen

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renzfähigkeit legten Kosteneinsparungen, eine neue Produktpalette, Rationalisierungen — und auch einen Personalabbau dringend nahe.

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renzfähigkeit legten Kosteneinsparungen, eine neue Produktpalette, Rationalisierungen — und auch einen Personalabbau dringend nahe.

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Lange bevor die Nachricht von den Entlassungen bei der Budapester Glühlampenfabrik „Tungsram" Eingang in die ungarischen Massenmedien fand, hatte sich die Information wie ein Lauffeuer verbreitet — zuerst in Budapest, dann fast im ganzen Land: Denn entsprechend den gesetzlichen Regelungen müssen geplante Entlassungen in einem Betrieb mindestens drei Monate vor dem Inkrafttreten angekündigt und mit den Betroffenen besprochen werden.

Es gab bei „Tungsram" Betriebsversammlungen, die Gewerkschaften sprachen mit jedem einzelnen, der entlassen werden sollte, das Management des Betriebes und die Parteiorganisation schalteten sich ebenfalls ein. Natürlich sickerte das nach außen und war nicht „geheim" zu halten.

Vor allem auch deshalb, wie man in Ungarn von seiten der Partei, der Wirtschaftslenker und Nationalökonomen ohne weiteres zugibt, weil „unsere Arbeiter gewohnt sind, ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren und zu glauben, daß sie in jenem Betrieb, in dem sie vielleicht als Lehrlinge angefangen haben, auch alt \yerden können — bis zur Pensionierung."

Aber diese Mentalität ist bei den ungarischen Wirtschaftslenkern in Mißkredit geraten, weil sie sich nicht mit einem wesentlichen Element der ungarischen Wirtschaftsreform verträgt — nämlich dem „Marktdenken" und der Profitorientiertheit.

Der Präsident der ungarischen Handelskammer, Tamas Beck, dazu in Wien: „Als neues Grundelement der Wirtschaftstätigkeit tauchte seit 1968 auf, daß die mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängenden Entscheidungen und Verantwortungen grundlegend dem Unternehmen überlassen werden sollen. Hauptmerkmal der Wirksamkeit unserer Wirtschaftstätigkeit wurde der Profit."

Nun sind zwar ungarische Offizielle im Falle der Entlassungen bei „Tungsram" nicht eben auskunftsfreudig, weil das Interesse des Auslandes an den Entlassungen sie verstört. So viel ist aber denn doch gesichert herauszubekommen: Eine Prüfung des Unternehmens „Tungsram" über seine Marktchancen und Konkur-

Die Fälle sind exemplarisch und haben weit über die magyarischen Grenzen hinaus Aufmerksamkeit erregt: In Ungarn wurde ein maroder Staatsbetrieb liquidiert, in einem renommierten Großunternehmen werden 1520 Werktätige entlassen.

Die Folge dessen: Generaldirektor Karoly Demeter entschloß sich, die Funkröhrenproduktion mit Ende des Jahres gänzlich einzustellen — und 320 in diesem Bereich Beschäftigte zu entlassen. Bis März nächsten Jahres soll vor allem der administrative Bereich des Unternehmens, das immerhin 23.000 Menschen beschäftigt, durchforstet und damit weitere 1200 „Werktätige" abgebaut werden.

Durch die — auch gesetzlich vorgeschriebenen — Konsultationen wird verhindert, daß die Entlassenen auf der Straße stehen, arbeitslos werden und „stempeln" gehen müssen. Das kann und darf es laut kommunistischem Selbstverständnis und auch dem verfassungsmäßigen „Recht auf Arbeit" nicht geben.

Auf die Frage, warum denn die Gewerkschaftsvertreter nicht schärfer oder entschiedener gegen Entlassungen auftreten und sich sofort willfährig in die Besorgung von neuen Arbeitsplätzen stürzen, erhält man inoffiziell folgende Antwort:

„Die Gewerkschaft hat die Interessen aller Unternehmensangehörigen zu vertreten. Wenn Rationalisierungen notwendig sind, um die Lebensfähigkeit des Betriebes und eine weitere Gewinnausschüttung an alle Werktätigen zu gewährleisten, warum sollen sie nicht der Entlassung von 1520 Personen, bei einem Beschäftigtenstand von 23.000, zustimmen?" Eine entwaffnende und erstaunlich „kapitalistische" Argumentation.

Geradezu entrüstet, aber jedenfalls eindeutig weisen alle ungarischen Gesprächspartner die Vermutung zurück, im Lande Kadars werde sozusagen mit „begrenzter Arbeitslosigkeit" gedroht, um eine höhere Arbeitsproduktivität zu erreichen:

„Die Entlassungen bei Tungsram haben damit gar nichts zu tun. Es geht höchstens um den Druck zu größerer beruflicher Mobilität. In erfolgreichen und exportorientierten Unternehmen haben wir ja einen Arbeitskräftemangel."

Und tatsächlich—der zweite exemplarische Fall in Ungarn bestätigt es. Zwei Betriebe der Büro-und Feinwerkzeugmaschinenfabrik „IGV Vallalat" in Budapest, seit langem marod und nicht wettbewerbsfähig, erwiesen sich als nicht mehr sanierbar. Sie wurden daher liquidiert, nachdem sie Konkurs angemeldet hatten.

Die 1300 Mitarbeiter werden teilweise von der recht erfolgreichen „Medicor" übernommen und umgeschult, einem Betrieb, der medizinisch-technische Geräte (unter anderem Röntgenappara-te) herstellt und vor allem exportiert. Der Rest der Mitarbeiter wird in dem Auffangunternehmen „Irodagep" unterkommen, das Büromaschinen produziert.

Sowohl die Entlassungen bei „Tungsram" als auch der Konkurs von „IGV Vallalat" scheinen wirtschaftlich vernünftig und ohne soziale Härten über die Bühne gebracht zu werden. Dem offiziellen Ungarn ist die Aufmerksamkeit, die die Fälle im Westen erregt haben, dennoch irgendwie peinlich.

Aber wie könnte man daran vorbeigehen, handelt es sich doch um einen bisher ziemlich einmaligen und exemplarischen Fall im Ostblock? Man nehme nur das Beispiel Polen. Dort gibt es zwar seit dem 1. Oktober 1983 auch erstmals die gesetzliche Möglichkeit, ein staatliches Unternehmen in Konkurs gehen zu lassen. Die Banken stellten denn auch gleich eine Liste von 700 Betrieben zusammen, die eigentlich bankrott sind und liquidiert werden müßten.

Aber was geschah? „Im Laufe der Zeit und des Gejammers sank die Zahl der vom Konkurs bedrohten Unternehmen auf den Banklisten auf 70. Nachher auf 15. Gegenwärtig haben wir null. Also noch eine Fiktion", klagte die Warschauer „Polityka".

Eines aber ist sicher: Die Ungarn hatten wieder einmal die Nase vorn.

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