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Wien - Finanzplatz oder Drehscheibe?

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Seit Beginn der siebziger Jahre wird immer wieder vom Finanzplatz Wien gesprochen. Gibt es ihn wirklich, den Finanzplatz Wien? Um die Frage zu beantworten, sollte man vorher den Begriff Finanzplatz definieren.

Als internationalen Finanzplatz könnte man eine Konzentration von Finanzinstitutionen verstehen, die in beträchtlichem Ausmaß an den internationalen Kapitaltransaktionen teilnehmen. Ein Ort, an dem neben nationalen Finanzinstitutionen (Banken, Sparkassen, Versicherungen usw.) eine gewisse Anzahl von ausländischen oder multinationalen Banken ihren Sitz haben. Weiters ist die Existenz einer entwickelten Wertpapierbörse (inklusive ausländischer Titel) plus eines funktionsfähigen Kapitalmarktes unabdingbar. Hinzu kommt, daß an einem internationalen Finanzplatz auch großteils die Partner der Finanzinstitutionen ihren Sitz haben, das sind nationale oder internationale Großfirmen.

Günstige Voraussetzungen politischer, sozialer, rechtlicher und steuerlicher Natur sowie eine ausreichende technische Infrastruktur (Telefonnetz, FS-Verbindungen usw.) sind notwendige Nebenbedingungen für einen funktionsfähigen Finanzplatz. Nun zeigt sich aber, daß in Wien zwar manche der Rahmenbedingungen erfüllt sind, jedoch etliche sehr wesentliche Voraussetzungen fehlen.

So hat Wien zwar einen gut entwickelten Kreditapparat - welcher im internationalen Geldhandel, im Kredit- und Emissionsgeschäft tätig ist - und der ein enormes Wachstum aufweist. Außerdem haben 54 ausländische Banken hier entweder eigene Vertretungen oder Repräsentanzen. Auch haben mehr als 500 ausländische Unternehmen hier Niederlassungen; jedoch fehlen anderseits zum Beispiel Multis mit Sitz in Wien völlig.

Außerdem ist der österreichische Kapitalmarkt - am internationalen Standard gemessen - relativ unterentwickelt. Besonders der Aktienmarkt und der Geldmarkt sind eng und beschränkt, was vor allem an der geringen Zahl der Marktpartner liegt. Ähnlich ist es beim Markt für Termingeschäfte. Eine besonders wichtige Bedingung für die Entwicklung eines Finanzplatzes ist eine liberale Haltung in der Bankrechts- und Steuerpolitik und in devisenrechtlichen Fragen. Als Beispiele mögen London, Luxemburg oder Zürich dienen. Von dieser Seite hat Wien jedoch nicht allzu viel zu bieten, da von „übergroßer" Liberalität wahrlich nichts zu spüren ist.

Anderseits hat auch der Standort Wien seine typischen, nicht zu vernachlässigenden Vorteile. Die geographische Lage Wiens und die auf historische österreichische Verbindungen zurückreichende Kenntnis unserer Nachbarmärkte von Nord- bis Südost sind der Standortvorteil schlechthin. Hinzu kommen der Status der Neutralität und die Stabilität der politischen sowie sozialen Verhältnisse - wobei dem funktionierenden Instrument der Sozialpartnerschaft ein besonderer Stellenwert zukommt.

Die Ansiedlung internationaler Organisationen wie UNIDO oder Atomenergiebehörde, Wien als Standort für internationale Konferenzen, Messen und Fachausstellungen sowie zahlreiche Spezialorganisationen mit Blickrichtung Ost (z. B. Donaueuropäisches Institut, Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, österreichisches Ost-und Südosteuropa-Institut) sind weitere Pluspunkte für die Favorisierung Wiens als Standort.

Aber all das hat nichts mit dem Finanzplatz Wien zu tun. Es weist vielmehr Wien als internationalen Standort, Handelsplatz und als Drehscheibe aus. Wien hat einen ganz speziellen Vorteil, und den sollte es nützen: Die geographische Lage und die Neutralitätsposition prädestinieren es als wirtschaftlichen und finanziellen Brückenträger zwischen West und Ost. Dazu kommt die relativ große Bedeutung, die dem Osthandel für Österreich schon seit den fünfziger Jahren zukommt, und die damit verbundenen langjährigen Kontakte, Erfahrungen und Kenntnisse.

So hat in den letzten Jahren der Transithandel mit Osteuropa einen außerordentlich starken Aufschwung genommen. Belief sich der Umfang der über Österreich abgewickelten Transitgeschäfte im Jahr 1970 auf 10 Milliarden Schilling, so waren es 1978 bereits 31 Milliarden Schilling. Ah dieser Entwicklung wird deutlich, daß sich Wien zu einem Zentrum der Vermittlung von Transitgeschäften entwickelt hat. Dies zeigt aber, daß hier ein ganz spezielles Know-how vorhanden ist, da das Ostgeschäft mit dem Außenhandel schlechthin nicht verglichen werden kann.

Gerade die Vorliebe der Ostländer für Kompensationsgeschäfte bedingt die Einschaltung von Spezialisten, die über genaue Kenntnisse der exportfähigen Produkte der COMECON-Länder verfügen und im konver-tierbaren Währungsbereich absetzbare Waren auch initiativ auffinden. Bei der Finanzierung derartiger'Geschäfte eröffnet sich für die Banken ein weites Betätigungsfeld, das von der Beratung (allgemeiner, wirtschaftlicher und juristischer Natur) über die Geschäftsabwicklung bis zur spezifischen finanziellen Konstruktion reicht. Und dieses spezielle Know-how könnte man als gut funktionierendes Schmiermittel für den Drehscheibenplatz Wien bezeichnen.

Zusammenfassend ergibt sich also, daß man eigentlich nicht von einem Finanzplatz Wien sprechen kann - was auch seine Vorteile hat (z. B. keine sprunghaften Wechselkursbewegungen auf Grund von Währungsspekulationen), eher wäre noch der Ausdruck Bankenplatz angebracht. Richtiger hingegen scheint das Vokabel eines speziellen „Know-how-Platzes" insbesondere für den Osthandel zu sein.

Mag. Dr. Alois Kroiss ist Referent xder Volkswirtschaftlichen Abteilung der Wiener Girozentrale.

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