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Ökonomisch betrachtet ist Osteuropa die Peripherie von Westeuropa. Nun stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung nicht auch eine Schattenseite hat.

Zeitenwende für Europa hieß es im Jahr 1989. Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges entstand, gewissermaßen "vor der Haustüre" Österreichs, ein Wachstumsmarkt mit rund 100 Millionen Konsumenten. Die Bedeutung dieses Marktes für österreichische Unternehmen lag allerdings nicht nur in seiner räumlichen und kulturellen Nähe sowie seiner Größe, sondern in spezifischen Wettbewerbsvorteilen gegenüber westeuropäischen und nordamerikanischen Konkurrenten, die ebenso in diese neuen Märkte drängten. Vor allem im Finanzbereich waren diese "Führungsvorteile" vorhanden: Wiener Banken unterhielten schon lange vor 1989 Niederlassungen in Osteuropa, die zwar vom Umfang her unbedeutend, jedoch für Kontakte bei Geschäftsanbahnungen sowie für die Beschaffung von Informationen über die Marktentwicklungen unerlässlich waren. Aufgrund der Doppelrolle der Banken, einerseits Unternehmen, andererseits Finanzintermediär zu sein, wurde dieser Vorteil doppelt schlagend: Er half den Banken bei der eigenen Expansion in ihrer Rolle als Unternehmen und er bereitete den Weg für zahlreiche österreichische Unternehmen, die als Kunde ihrer Hausbank in den neuen Märkten auf eine gute Bankinfrastruktur vertrauen konnten.

Zum Konzern wachsen

Eine historisch einmalige Chance für österreichische Firmen: Denn vor der Transformation Osteuropas waren vor allem im östlichen Österreich Unternehmen primär auf den heimischen Binnenmarkt ausgerichtet, und nach westeuropäischem Niveau gemessen nur bedingt wettbewerbsfähig. Anders ausgedrückt: die osteuropäischen Transformationsstaaten boten diesen Unternehmen die Möglichkeit, den Schritt vom nationalen Unternehmen zum internationalen Konzern zu setzen. Eine Internationalisierung, die viele gen Westeuropa niemals hätten realisieren können. Diese Expansion österreichischer Unternehmen nach Osten stellt eine Erfolgsgeschichte sondergleichen dar: die Osttöchter der österreichischen Konzerne erwirtschaften in diesen Ländern satte Gewinne: von den 4,2 Milliarden Euro, die österreichische Konzerne 2004 an ihren Auslandsstandorten erwirtschafteten, trug Osteuropa knapp 60 Prozent (2,4 Milliarden Euro) bei.

Aufkäufe liegen im Trend

Diese Expansion der österreichischen Unternehmen liegt im internationalen Vergleich im Trend, beziehungsweise holt damit auf das Niveau der OECD-Staaten auf. Unternehmensstatistiken der Vereinten Nationen zeigen, dass im globalen Maßstab eine zunehmende ökonomische Konzentration stattfindet: der weltweit festzustellende Boom bei Unternehmensfusionen führt zur Entstehung immer größerer Konzerne, die damit auch über steigende Marktmacht verfügen. So wurden 2005 weltweit für 141 Mega-Deals 454,2 Milliarden US-Dollar aufgewendet, 1995 waren es hingegen 36 Mega-Deals bei 80,4 Milliarden US-Dollar. Somit steigen sowohl die Anzahl der Übernahmen als auch die dabei aufgewendeten Finanzvolumina. Eine Veränderung dieser Situation ist nicht in Sicht.

Mit dieser Entwicklung - die keineswegs auf die Weltspitze der Konzerne beschränkt ist - geht auch eine starke räumliche Konzentration einher. Dies führt zu der Paradoxie, dass die Produktion multinationaler Konzerne über den ganzen Globus verteilt wird, während die Steuerung und Kontrolle dieser Prozesse immer mehr räumlich konzentriert ist. Somit lässt sich eine zunehmend ungleiche Entwicklung feststellen: einerseits abhängige Zweigbetriebe oder Tochtergesellschaften, andererseits mächtige Unternehmenszentralen, in denen strategische Entscheidungen getroffen werden, etwa über die Gewinnverwendung oder darüber, welche Standorte geschlossen werden bzw. Personalkürzungen erfahren sollen. Semperit, Bank Austria oder Austria Tabak: die jüngere Wirtschaftsgeschichte ist voll von Beispielen, die diese Entwicklung bestätigen. Dennoch ist es problematisch, aus dem anlassbezogenen Einzelfall generell Fusionen zu bewerten - zu unterschiedlich ist das individuelle unternehmerische Schicksal. So kann die Frage "Was wäre, wenn die Übernahme (nicht) stattgefunden hätte" für ein einzelnes Unternehmen nicht seriös beantwortet werden. Sinnvoll ist es, Übernahmen auf übergeordneter Ebene, der einer Stadt oder einer Region, zu bewerten. Die Frage muss daher lauten: werden die Unternehmen einer Region A ausschließlich Übernahmeziel von Konzernen anderer Regionen (B, C …) oder sind die Unternehmen der Region A auch in der Lage, in anderen Regionen Unternehmen zu übernehmen? Die Summe dieser aktiven und passiven Unternehmensbeteiligungen bildet die "unternehmerische Kontrollbilanz" einer Region.

Entwicklungsunterschiede

Diese Kontrollbilanz differenziert auf der einen Seite Regionen mit aktiver Bilanz, in denen vorrangig Unternehmenszentralen angesiedelt sind, in denen über die Wertschöpfung und die Gewinne entschieden wird, die in anderen Regionen erwirtschaftet werden. Und auf der anderen Seite jene mit passiver Bilanz in der Rolle des abhängigen Produzenten. Die angesichts weltweiter Fusionierungswellen zunehmende Polarität der unternehmerischen Kontrollbilanz hat somit deutlichen Einfluss auf das Entwicklungspotenzial einer Region: auf die Stabilität der Arbeitsplätze, die Verfügbarkeit hochwertiger Dienstleistungen, die Forschungsquote oder den Umfang an Neuinvestitionen. Allesamt Faktoren, die dazu führen, dass bei stark ungleichen Kontrollverflechtungen bestehende Entwicklungsunterschiede gefestigt oder verstärkt werden.

Die Fusionswelle österreichischer und westeuropäischer Firmen in Osteuropa ist ein vorrangig einseitiger Prozess, der Österreichs "Kontrollbilanz" von einer negativen in eine positive umkehrte und Wien in die Position einer "internationalen Steuerungszentrale" bringt. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist allerdings die nachhaltige Peripherisierung der osteuropäischen Transformationsstaaten. In Wirtschaftskreisen ist man bemüht, diese Entwicklung schönzureden: Demnach seien die massenhaften Übernahmen keineswegs Ausdruck einer Peripherisierung, sondern unterstützten den Lern- und Aufholprozess in den Transformationsstaaten.

Fusion vs. Marshall

Als Gegenargument möge ein kleines Gedankenspiel angeführt sein: Wie hätte sich Westeuropa entwickelt, wenn die US-Wirtschaft nach 1945 Westeuropa nicht durch günstige Wiederaufbaukredite, sondern durch systematische Firmenaufkäufe "unterstützt" hätte? Wenn auch die Rahmenbedingungen gegenwärtig andere sind, so bleibt das Grundmuster das gleiche: auf der einen Seite eine auf Expansion ausgerichtete Ökonomie, auf der anderen Seite ein unterentwickelter Markt, jedoch mit gigantischen Wachstumsaussichten. Der Aufbau der westeuropäischen Volkswirtschaften durch privates, eigenständiges Unternehmertum unter der starken schützenden Hand des Staates stellte eine westeuropäische Erfolgsgeschichte dar. Ob den osteuropäischen Volkswirtschaften angesichts aktueller Fusionswellen eine ähnliche Chance zur Entwicklung geboten wird, muss bezweifelt werden.

Der Autor ist Post-Doktorand in der Abteilung für Wirtschafts- und Humangeografie der Universität Salzburg.

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