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Winnetou und das ..Feuerwasser"

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Christian Feest, Wissenschafter in der Amerika-Abteilung des Museums für Völkerkunde in Wien und einer von zwölf Indianer-Experten in, Europa, behandelt mit seiner eben abgeschlossenen Habilitationsschrift „Trinken und Trunkenheit im indianischen Nordamerika" nicht nur das zur Zeit größte Problem der amerikanischen Urbevölkerung, sondern leistet gleichzeitig auch einen Beitrag zur Erforschung eines weltweiten Problems.

Schon in dem 1976 im Europa-Verlag erschienenen Buch „Das rote Amerika" weist der junge Völkerkundler darauf hin, daß der Indianer aus anderen Gründen dem Alkohol zuspricht als viele Europäer. So trinkt er beispielsweise nicht zum Essen und' nicht aus Provokation oder deshalb, weil er sich außerhalb der Norm bewegen will und so etwas wie Narrenfreiheit erringen möchte.

Der nordamerikanische Indianer, der vor der ersten Begegnung mit

dem Weißen weder gegorene noch gebrannte Getränke kannte, trinkt, um total betrunken zu sein, die Sinne zu verlieren und allenfalls auch, um mit dem Jenseits in Verbindung treten zu können. Wieso er schneller berauscht ist, und wieso er den Alkohol im Blut rascher abbaut als sein weißer Nachbar, dafür gibt es nach wie vor nichts als ein paar Hypothesen. Biologische Ursachen scheinen entgegen früheren Annahmen nicht verantwortlich zu sein. Fest steht nur, daß - wie bei den Weißen - derjenige eher zur Flasche greift, der Sorgen hat.

Früher war es den Indianern allerdings gelungen, mehr oder minder wirksame Vorkehrungsmaßnahmen gegen die schädlichsten Begleiterscheinungen der Trunksucht zu ergreifen. Im Rahmen seiner historischen Studien erfuhr nämlich Feest -an sich ein Anhänger der angewandten Völkerkunde -, daß es beispielsweise in Virginia im 17. Jahrhundert üblich war, den roten Trinkern eine oder zwei nüchterne Begleitpersonen beizugeben. Diese sollten Gewalttätigkeiten der Betrunkenen verhindern. Ein ähnliches System befolgten die Irokesen um 1800, die Creeks noch 1825, während die Chippewas im 19. Jahrhundert eine ganze Kriegergruppe als Ordnerdienst bei Gelagen einsetzten.

Diese Aufsichtspersonen sammelten schon vor Beginn des Festes alle

„Fest steht nur, daß - wie bei den Weißen - derjenige eher zur Flasche greift, der Sorgen hat."

Waffen ein und separierten besonders exzessive Säufer von den übrigen. Als Ausgleich dafür durften sich nach Ende der Veranstaltung die Aufpasser betrinken. Zur Kontrollmöglichkeit trug außerdem noch die Tatsache bei, daß der Alkoholkonsum nur sporadisch war. Dann aber wurde das „Feuerwasser" sofort und auf einmal „geleert". Nach der Ausnüchterung konnte man ohne weitere Ablenkung den gewohnten Lebensrhythmus bis zur nächsten Anlieferung fortführen.

Heute ist der Alkohol nicht nur für den Stadtindianer jederzeit erreichbar-vorausgesetzt er hat Arbeit. Und Arbeit sucht der Rote oft nur, um sich im nächsten Supermarkt Alkohol zu beschaffen. Nichtsdestoweniger stellt Trunkenheit einen der häufigsten Entlassungsgründe bei indianischen Arbeitern dar. Behandelt man ihn mit Medikamenten (etwa mit An-tabus), spricht er darauf besser an als der Weiße.

Indianer, die in den Stammesverbänden leben - und das ist nach Informationen Feests durch das Bureau of Indian Affairs etwa die Hälfte aller 793.000 Rothäute -, bringen es im Alter von 35 und 40 Jahren überhaupt fertig, ohne jegliche Betreuung von einem auf den anderen Tag mit dem Trinken aufzuhören, weil sie in diesem Lebensabschnitt in eine andere Sozialfunktion kommen und neue Verantwortungen zu tragen haben.

Wie die meisten von Feests Spezialuntersuchungen wird auch seine Habilitationsschrift, ins Englische übersetzt, in London publiziert werden. Denn der junge Ethnologe aus Wien hat sowohl in England als auch in den USA einen guten Namen.

Aus Feests Habilitation könnten nicht nur Völkerkundler Nutzen ziehen, sondern auch Mediziner und Soziologen. Denn der Alkoholismus ist vor allem auch ein gesellschaftliches, vom Verhalten gesellschaftlicher Gruppen abhängiges Problem. Die beiden amerikanischen Ethnologen Craig Mac Andrews und Robert Edgarton meinen sogar, daß jede Gesellschaft die Betrunkenen besitze, die sie verdient.

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