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Zeitgenosse

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Wenn ein Mann Bundeskanzler wird, fragt sich jeder, was er wohl machen wird. Wenn ein Mann Kabinettchef eines Bundeskanzlers wird, fragt sich jeder, was er wohl werden wird. Glanzvolle Karrieren begannen im Zimimer neben dem Zimmer des Kanzlers, beispielsweise die von UNO-Botschafter Jankowitsch. Denn kaum eine andere Position qualifiziert so wirkungsvoll für größere Aufgaben. Der Kabinettchef muß nämlich nicht nur ein guter Mann sein. Er hat auch wie kein zweiter die Chance, seine Qualitäten an kompetentester Stelle unter Beweis zu stellen.

„Kabinettchef“: ein ebenso bedeutungsschwer klingendes wie nichtssagendes Wort. Der Kabinettchef des österreichischen Kanzlers oder Ministers leitet dessen Sekretariat, er ist sein engster persönlicher Mitarbeiter. 99 Prozent aller Österreicher dürften nicht einmal wissen, daß es Kabinettchefs gibt. Dafür schaut sich ein kleiner Bruchteil eines Bevölke-rungspromilles einen neuen Kabinettchef genauer an als einen neuen Minister. Nämlich alle, die vom Kanzler etwas wollen, bald wollen werden oder eventuell wollen könnten.

Augenblicklich konzentriert sich das Interesse jener, die sich gern Insider nennen lassen, auf Friedrich Gehart, der offiziell mit 1. Jänner die Nachfolge von Alfred Reiter angetreten hat. Mitte Dezember wußte er noch nichts von seinem Glück. Wenige Tage später, er sollte gerade in vorweihnachtlicher Behördenruhe vom Vorgänger in seine Tätigkeit eingeführt werden, hatte er plötzlich ein Mikrophon in der Hand und die nervenaufreibende Pflicht, einen nicht einmal vollständig überfloge-nen Text in französischer Sprache über alle drei österreichischen Rundfunksender live zu verlesen. Man schrieb den 21. Dezember und es handelte sich um die von den OPEC-Gangstern verfaßte Propaganda-erklärung. Ganz Österreich hörte seine Stimme, wenige verstanden, toas er sagte, niemand wußte, wer sprach: frappierendes Symbol für die Halbanonymität, in der der Kabinettchef eines Kanzlers agiert.

Er hat keinen eigenen Willen, keine eigenen Pläne, kaum Entscheidungsspielraum, bestenfalls einen eigenen Stil, aufzutreten. Wenn er ein profilierter Mann ist, muß er von seinem Ohef schon sehr fasziniert sein, um den Verzicht auf eigene In-iative nicht als Opfer zu empfinden. Dafür sitzt er nicht nur auf einem der zukunftsreichsten, sondern auch auf einem der interessantesten Sessel im Lande: mitten im politischen Nabel Österreichs.

Gehart ist offenbar ein Grenzgänger zwischen Diplomatie und Wirtschaftspolitik. Er spricht vier Sprachen und das Babel in seinem Heim erinnert an seine Tätigkeit in Genf, wo er seine aus El Salvador sta/m-mande Frau kennenlernte. Sie redet mit ihrer Mutter Spanisch, mit ihrem Mann Englisch und mit den Gästen Deutsch, die beiden Töchter (vier und sechs, ein weiteres Kind wird stündlich erwartet) verständigen sich spanisch ebenso wie deutsch.

Aber der dem Außenamt angehörende Gehart sitzt seit 1970 im Handelsministerium, wo er 1970 die Grundsatzabteilung aufbaute und seit dem Übergang der Energiekompetenzen auf den Handelsminister in dessen Sekretariat außerdem für die Energiepolitik zuständig war.

Der Großvater war Eisengießer und Sozialist, die Großmutter in der sozialdemokratischen Bewegung aktiv. Alles Geld wurde in die Ausbildung der Söhne gesteckt. Geharts Vater wurde Elektroingenieur, arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg in der ERP-Abteilung des Kanzleramtes und ist Generaldirektor der Perlmoser Zementwerke.

Friedrich Gehart selbst: Am 26. August 1938 geboren. Humanistisches Gymnasium. Mitglied, aber nicht Funktionär im Verband sozialistischer Mittelschüler und im Verband sozialistischer Studenten. In den Semesterferien Praktikantentätigkeiten in Frankreich und England — Motiv dafür neben dem Sprachenlernen primär „eine gewisse Abenteuerlust“. Abschluß des juristischen Studiums gemeinsam mit Heinz Fischer und Thomas Lachs im „Promotionsjahrgang 1961“.

Er trat 1962 in das Außenministerium ein, wurde im folgenden Jahr mit Außenhandelskompetenzen an das Handelsministerium abgestellt und verbrachte sodann ein halbes Jahr in der Brüsseler Kommission der europäischen Gemeinschaften und fünf Jahre „als österreichischer Liaisonmann in der österreichischen Vertretung zur EFTA“. Da ihm ein Urlaub zum Sammeln von Erfahrungen in der Privatwirtschaft verweigert wird, tritt er 1969 aus dem Staatsdienst aus, aber 1970 nach dem sozialistischen Wahlsieg wieder ein. Er wird von Staribacher geholt, gehört aber neuerlich dem Personalstab des Außenamtes an, schließlich amtiert eine Minderheitsregierung und er will nicht im Falle eines Falles „als einziger Sozialist in einem schwarzen Ministerium übrigbleiben“.

:J Er interessiert sich vor allem für die Zeitgeschichte nach 1945 und stuft sich selbst als Sozialist ,4m Sinne des heutigen Regierungskurses, das heißt nicht überstürzter Reformen, sondern eines demokratischen Evolutionsprozesses in sozialistischer Richtung“ ein.

Daß ihn manche eher links stehende Sozialisten für ihren Flügel reklamieren, muß dazu keinen Widerspruch darstellen.

Warum sich der Kanzler für ihn entschied? „Wohl wegen der seltenen Kombination diplomatischer Erfahrungen mit Erfahrung in - österreichischer Wirtsehafts- und Integrationspolitik.“ Und: „Sicher hat er mich auch da und dort in Sitzungen agieren gesehen.“

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