6804088-1971_49_04.jpg
Digital In Arbeit

„Zohln miaßts..

Werbung
Werbung
Werbung

„Zohln miaßts de Tramway sowieso“, philosophiert Wiens „glücklicher“ Bürgermeister, wenn ihm die Kinder seiner Stadt Vorhaltungen über die am 1. Jänner ins Haus stehenden Tariferhöhungen bei der Straßenbahn machen. Und böse Zungen behaupten, daß viele sich durch die neuen Tarife abschrecken lassen könnten und zu Fuß ihren Weg nehmen: Deshalb ist Wien auch den Fußgängerzonen so aufgeschlossen.

Doch ist das Problem wesentlich ernster: Während in den USA und in den Städten der Bundesrepublik die alte Tramway durch die Schwierigkeiten mit dem Individualverkehr eine neue Stemstunde ziu erleben scheint, sind die Wiener auf dem besten Weg, den Erfordernissen der Zeit keine Rechnung zu tragen, die alte Straßenbahn „umzubringen“ und eine neue unmöglich zu machen.

Das Defizit der Wiener Stadtwerke wird immer größer, die Kunst der vielgepriesenen Finanzgenies immer kleiner. Um einen Ausweg auš den roten Zahlen zu finden, wurden von der Stadt Wien für die Verkehrsbetriebe Anleihen auf genommen:

1970 in der Höhe von 500 Millionen Schilling, 1971 waren es schon 750 Millionen Schilling und im kommenden Jahr wird man 800 Millionen Schilling auf dem Anleihenmarkt aufbringen. Eine schöne „Stange“ Geld, wird man sagen. Doch den Verkehrsbetrieben ist damit nicht geholfen. Eine vollkommen verfehlte Finanzplanung hat einen tödlichen Kreislauf heraufbeschworen: Von den 800 Millionen Schilling Anleihe, welche die Gemeinde Wien für die Verkehrsbetriebe aufnimmt und ihnen übergibt, werden innerhalb weniger Stunden 572 Millionen Schilling an die Gemeinde Wien zurückgezahlt. Das ist allein jener Betrag, der zur Verzinsung und Tilgung alter Anleihen aufgebracht werden muß. So gesehen sind die rund 230 Millionen Schilling, die durch Tariferhöhungen zusätzlich aufgebracht werden sollen, ein besseres „Trinkgeld“.

Wie überhaupt in diesem Zusammenhang Wiener Finanzgenies einen Finanzdschungel heraufbeschworen haben, in dem letzten Endes ein Loch mit dem anderen gestopft wird: So geben die Wiener E-Werke — und bis vor einiger Zeit auch die Gaswerke — jährlich Subventionen in der Höhe von rund 150 Millionen Schilling an die Verkehrsbetriebe. Im gleichen Atemzug fordern aber auch die Wiener E-Werke eine Stromtariferhöhung.

Das bedeutet zweierlei: Erstens subventioniert jeder, der gezwungenermaßen das Licht andreht, die Wiener Verkehrsbetriebe. Zweitens muß man sieh ernstlich fragen, warum man eine Strompreiserhöhung vornehmen will, wenn diese gar nicht notwendig ist, sondern nur dazu dient, das Loch im Geldsack der Verkehrsbetriebe zu stopfen. Noch dazu, wo der Stromverbraucher wenig Verständnis dafür aufzubringen imstande ist, daß mit seinem Geld eine verfehlte Politik finanziert werden soll. Uber kurz oder lang ziehen sich die einzelnen Bereiche gegenseitig in die roten Zahlen.

Auch über die von Kreisky durchgesetzte „Schülerfreifahrt“ ist man zur Zeit in Wien recht glücklich, wenn man dabei bedenkt, daß über die Erhöhung der Berufsschülerstreckenkarte von 12 auf 18 Schilling, die Erhöhung der Schülerstreckenkarte von 35 auf 53 Schilling, über die Erhöhung der Hochschülerstreckenkarte von 70 auf 105 Schilling und über die Erhöhung der Hochschülemetzkarte von 170 auf 255 Schilling zusätzliche Mittel des Familienlastenausgleichsfonds, der ja zur Unterstützung aller österreichischen Familien gedacht ist, in das „Faß ohne Boden“ der Wiener Verkehrsbetriebe fließen werden. Sollten dem Wiener Beispiel nicht nur — wie angekündigt — die Bundesbahnen folgen, sondern auch andere Verkehrsträger neue Einnahmen wittern, dann wird über kurz oder lang auch im Familienlastenausgleich kein Geld mehr für die Familien sein, sondern diese Mittel von Quasisubventionen — streng nach dem Gesetz — aufgebraucht weiden.

Wo es aber um die eigene Tasche geht, steigt der Unmut: Sämtliche Sozialtarife werden angezogen. Die Flut der Arbeitnehmer, die Tag für Tag in die Stadt strömt, hat aber keine andere Wahl, als diesen Unmut — und damit die Tariferhöhungen in Kauf zu nehmen. Und die politischen Berater im Wiener Rathaus wissen, daß zwar zur Zeit Slaviks Politik nicht hoch im Kurs steht — von „Wien modern gestalten, liebenswert erhalten“ spricht man in solchen Zusammenhängen nicht — und, außer im SP-Kader, kein Verständnis für solche Maßnahmen aufgebracht wird, aber bis zum nächsten Umengang im Frühjahr 1974’ wird sich der Mantel des Ver- gessens über diese Tariferhöhung breiten. Das ist auch der Grund, warum schließlich dieser Termin gewählt wurde.

Viel ist jedenfalls von dem „Wien modern gestalten, liebenswert erhalten“ nicht zu merken. Die Tariferhöhung bei der Wiener Straßenbahn ist nur ein Symptom für eine vollkommen konzeptlose Politik in diesem Bereich, an der aber beide großen Parteien der Bundeshauptstadt beteiligt sind. Ehrlicherweisę müßte sich aber auch Slavik eingestehen: „Auf die 230 Millionen Schilling wär’s nicht angekommen!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung